Es braucht linke Einwanderungspoltik

Antrag an die 2. Tagung des 6. Landesparteitages der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt am 20. Mai 2017 in Halle (Saale)

Antragsteller*innen: Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt

 

Antragstext

 

DIE LINKE will eine Alternative zum Mainstream der Abschottungs- und Abschiebeparteien bieten. Das glaubwürdige und konsequente Bekenntnis zur Forderung nach offenen Grenzen für alle Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrem sozialen Status – ist dafür notwendige Bedingung.

Mit diesem Bekenntnis muss aber auch ein konkretes Angebot einhergehen, wie DIE LINKE in den vier Jahren nach der Bundestagswahl die sozialen und rechtlichen Rahmenbedingungen zur Umsetzung dieser Forderung schaffen will. Es braucht linke Einwanderungspolitik. Dabei darf es nicht darum gehen, Migrant*innen und Geflüchtete als Probleme oder Humankapital zu betrachten, sondern es muss darum gehen, ihre Probleme zu lösen.

 

Soziale Gerechtigkeit war, ist und bleibt soziale Gerechtigkeit für alle


„Die klassenbewussten Arbeiter, die begreifen, dass die Zerstörung aller nationalen Schranken durch den Kapitalismus unumgänglich und fortschrittlich ist, bemühen sich, die Aufklärung und Organisierung ihrer Genossen aus den anderen Ländern zu unterstützen.“

            - Lenin


Entgegen der Stimmungsmache von rechts können die Probleme, die mit Migration einhergehen, natürlich benannt werden. Sie sind oftmals keine neuen Probleme in einer Gesellschaft, in der bereits jetzt viele Menschen aufgrund ihres sozialen Status' ausgegrenzt, entwertet und entrechtet werden, in der viel zu viele Menschen nicht die Hilfe bekommen, die sie brauchen, in der ein eiserner Vorhang zwischen den Vierteln, Schulen, Milieus der Reichen auf der einen Seite und denen der Armen auf der anderen Seite steht und in der die innere Sicherheit vor allem unter einem Mangel an sozialer Sicherheit leidet. Diese Formen der Ausgrenzung und ihre Folgen betreffen auch Migrant*innen und Geflüchtete, aber oft in schärferer Weise.

Wer in Deutschland lebt, soll auch in Deutschland arbeiten dürfen, um dieses Leben zu finanzieren. Dafür brauchen Migrant*innen und Geflüchtete, ebenso wie Deutsche, auch die angemessene Bezahlung: Ausnahmen beim Mindestlohn und bei Tarifverträgen darf es nicht geben, im Gegenteil müssen Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innenrechte gestärkt werden. Um sich gegen Lohndrückerei, schlechte Arbeitsbedingungen und Benachteiligung zu wehren, brauchen Migrant*innen und Geflüchtete als Arbeitnehmer*innen die gleichen Rechte und Möglichkeiten zur Selbstorganisation, vor allem aber brauchen sie die Solidarität der anderen Beschäftigten. Solidarität ist die bewährte Waffe der Ausgebeuteten. Dessen ist sich die politische Linke als internationale Bewegung seit über hundert Jahren bewusst und in dieser Tradition steht auch DIE LINKE.

Viele Menschen, die nach Deutschland kommen, sind bereits qualifiziert. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse funktioniert für EU-Bürger dank gemeinsamer Standards sehr gut. Aber auch die Abschlüsse von Nicht-EU-Bürgern müssen anerkannt werden, damit diese ihren Beruf weiter ausüben können – damit muss natürlich auch die Möglichkeit zur Fortbildung einhergehen. Migrant*innen und Geflüchtete brauchen ebenso wie Einheimische einen offenen, unkomplizierten Zugang zu Bildung, auch jenseits beruflicher Weiterentwicklung.

Wer in Deutschland lebt, soll das gleiche Recht auf soziale Sicherheit genießen. Niemand soll unter ein menschenwürdiges Existenzminimum fallen können. Niemandem soll sozialer Aufstieg unmöglich gemacht werden, schon gar nicht aufgrund der sozialen oder geographischen Herkunft. Die Abschottung zwischen sozialen Milieus, die die Angleichung der Lebensverhältnisse verhindert und den sozialen Frieden gefährdet, darf durch den Staat nicht weiter zementiert, ihr muss entgegengewirkt werden. Das fängt dabei an, dass Menschen nicht in Lager und zentrale Aufnahmeeinrichtungen gepfercht werden dürfen, sondern sich ihren Wohnort selbst aussuchen können. Dazu gehört aber ebenso, sozialen Wohnungsbau auch in den Vierteln derjenigen zu betreiben, die sich Anwälte und Gutachter leisten können.

Eine neue Sprache, eine andere Kultur, ein unvertrautes politisches System oder auch nur den deutschen Behördendschungel allein kennenlernen zu müssen, erschwert nicht nur die Integration in eine Gesellschaft, sondern vor allem den Alltag. Um über diese Gräben Brücken zu schlagen, braucht es ganz unabhängig vom Aufenthaltsstatus flächendeckend und kostenlos Sprachkurse, politische Bildung und viele weitere Unterstützungsangebote. Viele Geflüchtete, aber auch Migrant*innen haben in ihren Herkunftsländern Not und Gewalt erlebt. Mit solchen Erfahrungen umzugehen, braucht oft psychosoziale Hilfe und Psychotherapie. Die erforderlichen Kapazitäten zu schaffen, hilft allen, die sie brauchen. Viele dieser Unterstützungsangebote werden heute bereits durch ehrenamtliche Helfer*innen ermöglicht und durch Menschen, die weit über ihre beruflichen Verpflichtungen hinausgehen: Ihr Engagement soll nicht ersetzt, sondern unterstützt werden und Anerkennung finden. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen gilt es ebenso einzubeziehen, wie die Perspektive von Selbstorganisationen von Geflüchteten.

Für all diese Probleme gibt es keine einzige Lösung von rechts: Die Rechten wollen bloß darüber bestimmen, wer unter ihrem Gesellschaftsentwurf zu leiden hat und diejenigen, die auf der falschen Seite der sozialen Schere geboren werden, bloß dorthin verbannen, wo sie die Privilegierten nicht stören. Es gibt aber eine Menge Lösungen von links. DIE LINKE will nicht darüber entscheiden, wer das Recht auf das schöne Leben haben darf und wer nicht. DIE LINKE will das schöne Leben für alle!

 

Um Europa keine Mauer …

 

„Gebt mir eure Müden, eure Armen,

Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,

Die elendigen Verschmähten eurer gedrängten Küsten,

Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturm Getriebenen,

Ich erhebe mein Licht beim goldenen Tor.“

            - Auszug aus The New Colossus von Emma Lazarus


DIE LINKE hat eine klare Position zum Recht auf Asyl: Der Schutz vor Krieg, vor Verfolgung, vor unwürdiger Not ist ein Menschenrecht und kann nicht verwirkt werden. Dieses Recht auf Schutz darf nicht weiter ausgehöhlt werden, keine weiteren Vorwände erfunden werden, um Menschen entweder sterben zu lassen oder sie ihrem Tod auszuliefern.

Die Praxis, andere Länder einfach zu sicheren Drittstaaten zu erklären, lehnen wir ab. Sie wird bereits jetzt politisch missbraucht, wie an der Debatte um das offensichtlich unsichere Afghanistan deutlich wird. Sichere Drittstaaten zu benennen, geht aber auch an der bitteren Realität vorbei: Bewaffnete Konflikte weiten sich aus, die politische Lage verändert sich in vielen einstmals sicher geglaubten Ländern wie der Türkei schnell zum Schlechteren und wo die meisten Menschen oder vergleichsweise reiche Tourist*innen sicher sind, sind es Angehörige von diskriminierten Minderheiten noch lange nicht.

Wenn dieses Recht nicht nur ein leeres Versprechen, eine Selbsttäuschung über die eigene Humanität sein soll, muss es aber auch in einem fairen Verfahren eingefordert werden können. Dafür braucht es nicht Mauern um Europa, sondern legale Einreisemöglichkeiten an den Grenzen der Europäischen Union. Eine umfassende Prüfung des Asylrechts an den EU-Außengrenzen oder in den Auslandsvertretungen der EU-Staaten ist praktisch unmöglich und für die Betroffenen nicht zumutbar. Statt Schnellverfahren braucht es personell und finanziell angemessen ausgestattete Behörden und Gerichte auf der einen Seite und das unbedingte Recht auf einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher auf der anderen Seite. Darüber hinaus verhindert die Drittstaatenregelung, dass sich Geflüchtete innerhalb der Europäischen Union sinnvoll, nämlich entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse verteilen können, statt in den ärmsten EU-Staaten bleiben zu müssen. Mit der Drittstaatenregelung bleibt das Asylrecht mancher EU-Staaten für die meisten Geflüchteten ein leeres Versprechen.

Dass viele Einschränkungen der Rechte von Geflüchteten, wie die Praxis der sicheren Drittstaaten seit den neunziger Jahren oder die sinnlose Schikane beim Familiennachzug heute, als direkte Reaktion auf Brandanschläge von Neonazis und Rassist*innen eingeführt wurden, ist ein beschämendes Einknicken im Angesicht von rechtem Terror. Unsere Demokratie, ja unser Verständnis von Menschenrechten hat sich damit erpressbar gemacht – gerade von denjenigen, gegen die es verteidigt werden muss. Statt rechten Terror mit Abschiebungen zu belohnen, sollen diejenigen, die Opfer rechter Gewalt werden, ein unbedingtes Bleiberecht erhalten. DIE LINKE sagt: Kein Fußbreit den Faschisten!

Das bürgerliche Verständnis dessen, wovor Menschen ein Recht auf Schutz genießen, gilt es zu verteidigen bzw. wiederherzustellen. Das geht uns aber nicht weit genug: Als Linke wissen wir, dass die Folgen des Kapitalismus, Armut und unwürdiges Elend, nicht weniger tödlich sind als Krieg und Verfolgung. Oft genug bedingen sie einander. Das Grundgesetz muss das Recht auf Asyl daher allen einräumen, die vor Krieg, Verfolgung oder unwürdigem Elend fliehen. Niemanden solchen Zuständen auszuliefern, heißt gerade einmal, sich nicht mitschuldig zu machen.

 

… Bleiberecht für alle und auf Dauer!


„Die Kongreßresolution fordert also die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern - auch in Bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung!“

            - Karl Liebknecht


Linke Einwanderungspolitik erkennt aber nicht nur das individuelle Recht auf Asyl an, sondern auch das individuelle Recht auf Bewegungsfreiheit über Staatsgrenzen hinweg. Wir wollen die Gleichheit jedes Menschen an Rechten und Freiheit nicht nur als hehres Versprechen vor uns hertragen, wir wollen dieses Versprechen auch einlösen. Das kann weder bedeuten, alle Menschen, die nicht zufällig in Deutschland geboren sind, auszuschließen, noch kann es bedeuten, diejenigen, die in Deutschland leben dürfen, nach willkürlichen Kriterien, nach den Bedürfnissen des Marktes oder der gerade herrschenden Politik auszuwählen: Wer in Deutschland leben will, soll das auch dürfen.

Die Suche nach Bildung, Arbeit, einem besseren oder auch nur anderen Leben, ist kein Teufelswerk, sondern ein legitimer Wunsch, dem bereits jetzt innerhalb Deutschlands und innerhalb der EU viele Millionen Menschen unbürokratisch und unproblematisch nachgehen können, indem sie aus ihren Geburtsorten und -ländern wegziehen. Dafür sollten sich weder Migrant*innen von innerhalb noch von außerhalb der EU rechtfertigen oder gar auf soziale, politische und wirtschaftliche Rechte verzichten müssen. Abschiebungen im Allgemeinen, insbesondere aber als Strafrechtsverschärfung nur für Ausländer*innen, lehnt DIE LINKE ab.

Entsprechend soll die Erlaubnis, nach Deutschland einreisen und sich hier niederlassen zu dürfen, nicht mehr der Ausnahmefall sein, dessen strenge Voraussetzungen jede*r Einzelne zu beweisen hat, sondern der Regelfall. Ausnahmen von diesem Regelfall müssen schwerwiegende außen- oder sicherheitspolitische Gründe, wie Kriegsverbrechen oder Spionage für einen anderen Staat, haben, die in jedem Einzelfall gerichtsfest nachgewiesen werden müssen. Wenn solche Gründe nicht vorliegen, sollen auch ohne Einreise- oder Niederlassungserlaubnis in Deutschland lebende Ausländer*innen nicht in der Illegalität leben müssen: Wer hier lebt, wer hier zur Schule geht, studiert, arbeitet, sich ehrenamtlich engagiert oder eine Familie hat, braucht staatlichen Schutz vor Gewalt und Ausbeutung, den in Anspruch zu nehmen durch die ständige Angst vor Abschiebungen unmöglich gemacht wird.

Wer für längere Zeit in Deutschland lebt, muss ohne weitere Anforderungen einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Wer fester Teil einer Gesellschaft ist, muss auch rechtlich so behandelt werden und insbesondere politische Vertretung über das aktive und passive Wahlrecht erhalten. Wohin sich diese Gesellschaft entwickelt, geht diese Menschen an. Wer hier geboren wurde, muss auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Eltern alle mit der deutschen Staatsbürgerschaft verbundenen Rechte genießen, um fester Teil dieser Gesellschaft werden zu können.

Die mehrfache Staatsangehörigkeit ist kein widersprüchliches Untertanenverhältnis, sondern spiegelt das Recht der Menschen wider, mehreren Ländern gleichermaßen verbunden zu sein, nicht einen Lebensmittelpunkt zu haben, sondern viele. Sie wird damit der Lebenswirklichkeit vieler Migrant*innen besser gerecht, als sie zu zwingen, sich für ein Land entscheiden zu müssen. Und seien wir ehrlich: Wer hätte nicht gerne ein Backup-Country, falls in Deutschland der Faschismus ausbricht?

DIE LINKE. Sachsen-Anhalt wird sich im Sinne dieses Antrages in die Diskussion und Beschlussfassung über das Bundestagswahlprogramm einbringen, um die im Entwurf bereits vorhandenen Ansätze für eine linke Einwanderungspolitik zusammenzuführen und zu ergänzen.

Der Antrag zum Download als PDF