Rede von Birke Bull 

auf der 2. Tagung des 5. Landesparteitages
am 20./21. Juni 2015 in Magdeburg

 

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste unseres Parteitages!

Es ist höchste Zeit für einen Politikwechsel!
Eine andere Politik – hier in Sachsen-Anhalt – ist längst überfällig.
Eine Politik, jenseits von Niedriglohnpolitik und Vetternwirtschaft, die Sachsen-Anhalt das Image eines Ramschladens verpasst.
Eine Politik jenseits dessen, dass Bildung und Wissenschaft für die Sparbüchse herhalten müssen und Kunst und Kultur als Luxus verkannt werden.
Eine Politik, jenseits dessen, dass Widerspruchsgeist und Kreativität als Majestätsbeleidigungen gelten.
Wir wollen einen politischen Aufbruch, jenseits von Mehltau und Resignation. 
Wir wollen eine Politik, die den Menschen in Sachsen-Anhalt etwas zutraut, die mit den Stärken unseres Landes anspruchsvolle Pläne schmiedet – Pläne, die Lust machen auf Veränderung und auf Engagement.
Es ist höchste Zeit für einen solchen Politikwechsel. 
Und er ist nur mit links zu machen, nur mit uns, mit der LINKEN in Sachsen-Anhalt!

Liebe Genossinnen und Genossen,
für einen solchen politischen Aufbruch braucht es Vorstellungen von Zukunft: kleine und große Konzepte, ungewöhnliche Ideen. Dafür brauchen wir kluge Köpfe, die hochmotiviert sind und das Gefühl haben, es lohnt sich. 

Wie sieht´s aus in Sachsen-Anhalt?
Für 285 000 Beschäftigte in Sachsen-Anhalt war die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ein Fortschritt – aber nach wie vor auf niedrigstem Niveau.

Über 300 000 Menschen arbeiten unter prekären Bedingungen: Teilzeitarbeit mit geringem Einkommen, immer wieder befristete Einstellungen, hoher Arbeitsdruck, der irgendwann krank macht. Weit über die Hälfte der hier Beschäftigten arbeiten unentgeltlich mehr als vereinbart. Darunter sind viele gut ausgebildete und hoch qualifizierte Leute. Das geht so nicht! 

Niedriglohnstrategien machen unser Land zu exterritorialem Gebiet in Sachen Fortschritt, Innovation und Gerechtigkeit. Weil sich gerade die gut ausgebildeten Frauen und Männer Alternativen suchen - und zwar anderswo. Weil Unternehmen, die schlecht bezahlen, langfristig gesehen in den seltensten Fällen Kreativität und Innovation zu Wege bringen.

So wird´s nichts mit der Zukunft. Es ist höchste Zeit für Veränderung!

Deshalb ist eine unserer wichtigsten Prämissen: Wir wollen Politik machen für gute Arbeit, die ebenso gut bezahlt wird. Wer tariflich zahlt, dessen Kunde wollen wir sein. Wer mindestens 10 Euro pro Stunde zahlt, soll was davon haben – nämlich öffentliche Aufträge. Und: Öffentliche Gelder müssen im Interesse der Öffentlichkeit ausgegeben werden: für gute Arbeit, für vernünftige Arbeitsbedingungen, für den sparsamen Umgang mit Ressourcen. Das muss drin sein!

Aber wir können noch mehr. 300 Mio. Euro gibt das Land jährlich für die Förderung von Unternehmen aus. Die wären gut und zukunftsträchtig angelegt, wenn dieses Geld tatsächlich in Start ups, in innovative junge Unternehmen gesteckt würden, die nicht ausreichend Risikokapital haben. Wenn daran ein akzeptables Jahresnettoneinkommen – selbstverständlich jenseits von zehn Euro pro Stunde – gebunden wären.

Eine Wirtschaftsförderung die einzelne Unternehmen gewissermaßen am Tropf hält, ist von gestern. Wirtschaftsförderung muss stattdessen Strukturpolitik sein, und zwar im weitesten Sinne: Die Wirtschaft zu fördern heißt, die Potenziale zu heben, die unser Land zu bieten hat. Wirtschaftspolitik muss aber auch Gesellschaftspolitik sein. Es geht um den sozialen Zusammenhalt, auf den sind schließlich auch die Unternehmen existenziell angewiesen. Es geht um einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Schließlich sollen Unternehmen auch noch in ferner Zukunft produzieren. Schließlich wollen wir deren Steuern auch noch in ferner Zukunft ausgeben. Es geht darum, den digitalen Wandel in den Unternehmen zu begleiten, auf dem Weg zu einer Industrie 4.0.

Konservative Wirtschaftspolitik ist old school! Mit anderen Worten: von gestern.

Und wenn sich die SPD nun darüber beklagt, beim politischen Schiffbruch nass geworden zu sein, dann kann ich nur sagen: Die Dauergemeinschaft mit den Konservativen ist kein Schicksal, sondern altbackener Umgang. Zukunft geht so jedenfalls nicht. Deshalb beim nächsten Mal "Augen auf bei der Partnerwahl!"

Liebe Genossinnen und Genossen,
in den vergangenen Wochen haben viele Kolleginnen und Kollegen in den Erziehungs- und Sozialberufen gestreikt. Für viele von ihnen ist das eine neue und geradezu gewöhnungsbedürftige Situation. Kleine und große Menschen kann man nicht abstellen oder derweil woanders parken. Auch für berufstätige Eltern war das nicht lustig. Aber sie haben Rückgrat und Mut gezeigt, die Erzieherinnen und Erzieher in Dessau, in Halle und anderswo. Das war Pionierarbeit! Dafür habt ihr unseren Respekt und unseren Dank!

Das war Pionierarbeit nicht nur in Sachen gute Arbeit und gutes Einkommen. Hier geht es auch um eine Grundsatzfrage. Denn warum eigentlich zahlen wir Menschen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, viel weniger als denen, denen wir unser Geld anvertrauen? Weil bei ewig Gestrigen immer noch nicht angekommen ist, welche Schätze wir heben können, wenn wir in hervorragende Bildung bei den Kleinsten investieren würden – und zwar von Anfang an – und zwar für alle.

Weil noch nicht angekommen ist, dass man in Vorleistung gehen muss, wenn einem was an klugen und selbstbestimmten jungen Leuten liegt. Und weil vor allem die CDU immer noch der Meinung ist, im Zweifelsfall könne das allein die Mutti machen.

Ohne Erzieherinnen ist kein Staat zu machen. Mehr von euch ist besser für alle, liebe Kolleginnen und Kollegen in den Kitas, in der Altenpflege, in der Behindertenarbeit, in der sozialen Arbeit.

Liebe Genossinnen und Genossen,
eine gute Bildung ist und bleibt die stärkste Ressource der Zukunft. Sie bringt kritisch denkende, kreative Köpfe hervor. Und das ist existenziell für eine aufgeklärte, humanistische und vor allem zukunftsfähige Gesellschaft. Gute Bildung legt Entwicklungspfade für eine Wirtschaftskraft, die nur durch Innovation an Fahrt gewinnen kann. Und vor allem: Es ist ein Menschenrecht, das allen zusteht! Und zwar, weil es der Schlüssel zu selbstbestimmtem Leben ist.

Und da steht es in Sachsen-Anhalt nicht gerade zum Besten.

Der Personalschlüssel in den Kitas ist bei weitem nicht "das Gelbe vom Ei". Zu wenig Erzieherinnen sind für zu viele Kinder Lernbegleiterinnen.

Der Erfolg des gemeinsamen Unterrichts in inklusiven Schulen droht nicht zuletzt an fehlendem Personal zu scheitern. Die führende Rolle der Lehrerschaft im Unterricht ist ein Auslaufmodell. Schülerinnen und Schüler kriegen das Lernen ziemlich selbständig hin. Aber ganz ohne Personal geht's wiederum auch nicht.

Viel zu wenig junge Menschen verlassen die Schule mit Hochschulreife. Die Hochschulen drohen in die Zweitklassigkeit gedrängt zu werden. Kultur und Kunst gelten als Luxus, bei dem man in schwierigen Zeiten Maß halten müsse.

Was hier lediglich zu haben ist, das ist gähnende Leere in Sachen Leidenschaft und Ambition bei den zuständigen Ministern. Hier fehlt ihnen an einer Vision, und zwar jenseits von Schuldenbremse, Ranglisten und Vergleichszahlen.

Und auch hier gilt deshalb: Diese Landesregierung muss nicht nur zum Auslaufmodell erklärt werden. Sie muss dazu gemacht werden.

Liebe Genossinnen und Genossen,
es wäre vermessen, hier zu behaupten: Mit uns wird alles gut. Aber besser können wir es allemal. Letztlich geht es ja nur noch besser.

Investitionen in Bildung, in Kultur und Kunst, in Wissenschaft sind für uns ein ganz zentraler Punkt. Aber: Es muss gerecht zugehen. In diesem Punkt scheiden sich so manche Geister.

Wenn wir die Bedingungen für die Bildung der ganz kleinen in den Kitas verbessern, dann wollen wir diese Investition keinesfalls erkaufen mit der Abschaffung des Ganztagsanspruchs aller Kinder. Wir wollen den Weg des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Behinderungen, von Kindern mit sehr unterschiedlichen sozialen Lebenssituationen weitergehen. Gemeinsames Lernen ist ein Gewinn für alle, aber ganz besonders für diejenigen, die´s nicht so dicke haben. Aber: Die inklusive Schule ist eben nicht für kleines Geld zu haben, so ist es nur zu ruinieren.

Wir wollen die Kürzungen an den Hochschulen zurücknehmen, die Studierendenzahlen dürfen nicht zurückgefahren werden. Das ist bereits beschlossene Sache für uns. Aber eines gilt auch: Studiengebühren zur Finanzierung sind mit uns nicht zu machen.

Wir wollen diese Ressourcen für alle zugänglich machen, nicht nur für Bildungseliten. Nur so werden wir alle gewinnen.

Liebe Genossinnen und Genossen,
heute ist Weltflüchtlingstag – der Tag für Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verlassen, auf Grund von Krieg und Vertreibung, auf Grund von Verfolgung, von Armut, Angst und Perspektivlosigkeit. 

Letztlich sind sie – genau wie wir alle – auf der Suche nach einem guten Leben. Nur: Wir müssen dafür nicht unser Leben riskieren, teuer bezahlt in Nussschalen auf dem Mittelmeer. Ich will hier nicht mit Zahlen und Prozenten kommen, sondern mit dem Vorschlag eines Perspektivenwechsels: Wie muss sich das anfühlen, aus einer Welt zu flüchten, in der man nicht wohl gelitten ist, und in einer Welt anzukommen – wenn man überhaupt ankommt - in der man nicht willkommen ist.

Der alte Europäer Stefan Zweig beschreibt 1942 in Wien die Welt von Gestern: "Und immer wiederholt sich die grausame Geschichte: Und immer standen sie an den Grenzen, dann bettelten sie bei den Konsulaten und fast immer vergeblich, denn welches Land wollte Ausgeplünderte, wollte Bettler?"

Liebe Genossinnen und Genossen,
und wie unmenschlich, wie ignorant, wie dumm und kleingeistig zeigt sich die Welt von heute. Und nicht nur das vermeintlich weit entfernte Europa – seine Politik und seine Behörden. Sondern die Mitte unserer Gesellschaft hier – laut und brutal oder subtil, aber dennoch unverkennbar. 

Es ist eine schlichte menschliche Angelegenheit, Hilfe zu geben, wenn Hilfe erforderlich ist. 

Und es ist einfach schlichtweg absurd, sich Zuwanderung zu verweigern: Ein Land, in dem die Menschen älter werden, in dem aber gleichzeitig zu wenig junge Menschen geboren werden, ist auf Gedeih und Verderb auf Zuwanderung geradezu angewiesen. Zugewanderte sehen die Welt mit anderen Augen. Sie haben nicht selten ungewöhnliche Lebensweisen, kennen ungewöhnliche Problemlösungskompetenzen. Das müssen wir nutzbar machen. Sie sind oftmals hoch motiviert, wollen sich reinhängen und mittun.

Doch dazu müssen sie auch die Gelegenheit bekommen: durch die Anerkennung ihrer Berufsausbildung, durch die Möglichkeiten von Fort- und Weiterbildung, durch eine Sprachförderung die als Angebot und nicht als Zwangsveranstaltung daherkommt. Vereine und Behörden müssen nicht nur ihre Türen öffnen, sondern sie müssen zugehen auf diejenigen, die zu uns kommen. Wir müssen aufhören mit dem erzählten Katastrophenszenario. Das beginnt bereits mit der Wortwahl, die stets und ständig von Belastung, von Überforderung, von Geld und von Masse spricht. Begreifen wir es doch endlich mal als Chance.

Wir brauchen ein Klima der Wertschätzung, statt der Herabsetzung. Aus Angst und Verweigerung muss Neugier und letztlich Verstehen und Verständnis werden. Gegen Einfalt hilft nur Vielfalt.

Liebe Genossinnen und Genossen,
es kommt nicht oft vor, dass Sozialistinnen und Sozialisten mit den Ökonomen von der eher neoliberalen Flanke Schnittmengen teilen. Und dennoch: Was Professor Oliver Holtemüller vom Institut für Wirtschaftsforschung auf drei Punkte bringt, um für Wirtschaftsentwicklung in Sachsen-Anhalt zu werben, gilt für die Zukunft in unserem Land insgesamt: mehr Innovationen, mehr Investitionen in Bildung und Wissenschaft, mehr Internationalität!

Eines gehört allerdings unverzichtbar dazu, um nicht im wirtschaftspolitischen Tunnelblick zu landen: Es muss sozial gerecht zugehen!

Alles das darf nicht nur Angelegenheit des Bildungsbürgertums sein, sonst geht´s dem sozialen Zusammenhalt an den Kragen.

Internationalität darf nicht zwischen nützlichen und weniger nützlichen Zuwanderern unterscheiden, sonst wird's unmenschlich.

Liebe Genossinnen und Genossen,
das sind unsere großen Prämissen, wenn wir euch heute den ersten Entwurf für ein Landtagswahlprogramm vorlegen. Es ist ein Arbeitsentwurf, der als Einladung verstanden werden soll, über viele kleine und große Ideen und Konzepte zu diskutieren.

Es sind Vorschläge, die noch viel mehr im Sinn haben:

  • die ländlichen Räume nicht abzuhängen, sondern vernünftige Aussichten zu eröffnen,
  • die Energiewende zu gestalten, ökologisch, vor allem aber sozial gerecht,
  • die digitalen Wandel im Blick zu behalten, dessen Potenziale und Risiken,
  • gesellschaftliche Veränderungen nicht von oben zu verordnen, sondern im Dialog in Gang zu bringen,
  • mehr demokratische Beteiligung zu ermöglichen, und zwar auch dann, wenn sich die Leute nicht jedes Mal für den demokratischen Sozialismus entscheiden. 

Die Zeit vor dem heißen Wahlkampf ist eine intensive, arbeitsreiche. Es ist immer wieder eine, die uns voranbringen kann, weil wir Konzepte erfinden müssen, weil wir uns die Köpfe heiß reden und um das beste Argument ringen müssen - mit uns selbst und mit denen, die viel oder weniger von uns erwarten.

Aber es lohnt sich, liebe Genossinnen und Genossen!

Wir wollen uns und den Leuten, die hier leben, etwas zutrauen und etwas zumuten. 
Wir wollen denen, die zu uns kommen, die Chance geben, uns zu verändern.
Wir wollen dem Widerspruch wieder Wertschätzung entgegenbringen und ihn als Angebot und nicht als Majestätsbeleidigung verstehen.
Es ist nicht nur Zeit für einen Politikwechsel, es ist auch die Gelegenheit.
Wir müssen nicht nur Veränderung wollen, wir müssen sie auch können.
Wir müssen nicht nur Veränderung können, wir müssen sie auch wollen. 
Und vor allem: Wir müssen um beides kämpfen.

Für eine starke LINKE Partei, für eine starke LINKE Fraktion, und für eine starke LINKE Regierung!


Magdeburg, 20. Juni 2015


Redemanuskript – Es gilt das gesprochene Wort