Rede des Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE. im Landtag von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert

Seit einigen Jahren legen die Statuten unserer Partei fest, dass die Fraktionsvorsitzenden auf dem Parteitag Rechenschaft über die geleistete Arbeit ablegen sollen. Dafür wurden mir hier heute 20 Minuten eingeräumt, womit ich natürlich in vollem Maße einverstanden bin. Aber diese Beschränkung nimmt mir die Chance, die Aktivitäten aufzuzählen, die unsere 28-köpfige Fraktion seit zweieinhalb Jahren im Landtag geleistet hat. Wir haben auch bewusst darauf verzichtet, eine Dokumentation über die Zahl von Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen zu erstellen, die zwar den unbestreitbaren Fleiß der Fraktion unter Beweis stellen würde, aber außer bei den Abgeordneten selbst kein besonderes Interesse hervorrufen würde.


Auf einem solchen Parteitag ist es vielmehr wichtig, etwas zur politischen Wirkung unserer Fraktion hier in Sachsen-Anhalt zu sagen und dafür ist das Kriterium nicht, wie viel in den Mauern des Landtages passiert, sondern was davon außerhalb des Landtages wahrgenommen wird.


Natürlich bildet für uns die inhaltliche Grundlage, das, was diese Partei auf der Bundes- und Landesebene beschließt. Und so viel will ich zumindest etwas zu unseren internen Abläufen sagen: Ich bin froh darüber, dass wir keine strukturellen Differenzen zwischen den Positionen der Landtagsfraktion, des Landesvorstandes oder den Parteitagen unserer Landespartei haben.

Natürlich gibt es unterschiedliche Funktionen und auch unterschiedliche Sichtweisen. Aber es ist uns auch in den letzten zweieinhalb Jahren gelungen, daraus ein konstruktives Miteinander zu organisieren. Ich will das hier ausdrücklich sagen, weil es eben keine Selbstverständlichkeit ist, wie wir das im Vorfeld des Göttinger Parteitages erlebt haben.


Unsere Positionsbestimmung im Landtag ist eindeutig. DIE LINKE ist Oppositionsführerin in diesem Landtag, sie hat die Aufgabe, politische Alternativen darzustellen, diese Landesregierung von CDU und SPD zu kritisieren, und zwar ausgehend von unserer Schwerpunktsetzung für soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Landesentwicklung. 


Allein das schon ist ein weites Feld, weil diese Landesregierung aus CDU und SPD eine Menge Kritik und eine Menge Opposition verdient.  Da, wo sie sich einig sind, einigen sie sich auf das Falsche. Da, wo sie sich nicht einig sind, herrscht Stillstand. 


Das ruft Widerstand in Sachsen-Anhalt hervor, den wir als Opposition aufnehmen können, um den Druck im Parlament zu verstärken.


Während wir hier im Land Sachsen-Anhalt in den letzten Monaten erlebt haben, dass es möglich ist, eine falsche, ja zum Teil zerstörerische Politik der Schrumpfung und des Abbaus mit Hilfe von gesellschaftlichem Protest vorerst zu stoppen, mussten wir auf Bundesebene leider zur Kenntnis nehmen, dass eine gesellschaftliche Stimmung für eine Umverteilung von oben nach unten, die es durchaus gegeben hat, in den letzten Monaten an Mobilisierung stark eingebüßt hat. Und wenn wir uns über die Ergebnisse der Bundestagswahl, vor allem das der CDU, unterhalten, so müssen auch wir hier konstatieren, dass unsere Stärke im Parlament sehr stark von solchen gesellschaftlichen Bewegungen abhängt.    


Kommen wir aber zurück zum Land Sachsen-Anhalt. Die Landesregierung wird in den nächsten Tagen ihre Halbzeitbilanz vorlegen. Wir wissen noch nicht, ob wieder mit Hilfe von Steuermitteln Hochglanzbroschüren mit Selbstdarstellungen gedruckt werden, aber die Grundaussagen der Kollegen Haseloff und Co. dürften klar sein: Sachsen-Anhalt ist auf einem sehr guten Weg, wir müssen noch ein paar Strukturanpassungsmaßnahmen durchführen, dann geht es uns richtig gut, und wer das nicht versteht, ist entweder Egoist, dem fehlt der nötige Weitblick oder hat einfach nur einen schlechten Charakter. Oder noch schlimmer, ist vielleicht sogar ein LINKER. 


Unterm Strich sehen die Dinge aber anders aus. Sachsen-Anhalt hat nach wie vor die größten Abwanderungsverluste, die durchschnittlichen Verdienste sind hier und in Mecklenburg-Vorpommern so niedrig wie nirgendwo in der Bundesrepublik. Die Landesregierung hat bei den Menschen überwiegend ein schlechtes Ansehen. Sie nehmen Landespolitik immer stärker als konzeptionslos, häufig sogar als Bedrohung wahr. 


Schulstandorte sollen geschlossen werden, obwohl es zu Beginn der Legislaturperiode eine Bestandsgarantie gegeben hat, die jedoch mit dem gleichzeitig beschossenen Personalentwicklungskonzept bei den Lehrern nie einzuhalten war.


Die Wirtschaftspolitik dieses Landes wird immer stärker unter der Überschrift „Skandal“ wahrgenommen. Ob Dessauer Fördermittelskandal oder IBG, das Reaktionsmuster der Verantwortlichen ist immer das gleiche: War alles okay und wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm. Bei der Wirtschaftsförderung darf man schon mal ein paar Millionen in den Sand setzen.


Den Hochschulen des Landes stellt die Landesregierung selbst ein katastrophales Zeugnis aus und begründet damit gleichzeitig, dass sie den ganzen Bereich sowieso nicht mehr so wichtig nimmt.

 
In der Kulturlandschaft streicht man die Gelder und lässt die Kommunen dann entscheiden, welche Theater geschlossen werden sollen. Aus der Jugendarbeit will man sich entweder ganz oder nur teilweise zurückziehen, weil das angeblich etwas wäre, womit das Land gar nichts zu tun hat. 


Welche Signale man an die Gesellschaft aussendet, wenn man die Gelder für Blinde und Gehörlose reduziert, lässt sich relativ leicht beantworten. Eine Inklusion, also eine wirkliche Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben, wird damit reduziert oder sogar verhindert. Wenn ich dieses Signal aber an diese beiden betroffenen Gruppen aussende, dass ich auf ihre Teilhabe an der Gesellschaft notfalls auch verzichten kann, dann stellt sich schon die Frage, ob man das bei anderen Gruppen nicht letztlich auch so sieht. 


Das sind die Signale, die die Landesregierung von CDU und SPD in das Land ausstrahlt. Und das Verheerende ist, dass diese Signale eine doppelte Wirkung entfalten. Natürlich einerseits in dem Fall ihrer realen Umsätze. Sie verringern die Lebensqualität, insbesondere die von Kindern und Jugendlichen und deren Entwicklungschancen. Sie schaffen weitere Motive für Abwanderung und Demotivation derjenigen, die hier bleiben. Aber solche Signale entfalten auch schon Wirkung, bevor sie überhaupt umgesetzt werden. Der Rektor der Fachhochschule Magdeburg, übrigens auch ein bekennendes SPD-Mitglied, formulierte es vor kurzem so: „Keine Opposition kann das Land so schlecht reden, wie diese Regierung.“ und auch wir dürfen diese psychologische Wirkung nicht unterschätzen. 


Die Frage also, die z. B. bei den Eltern auftaucht, wie das denn nun so ist mit dem Schulstandort, den zukünftigen Erwartungen ihrer Kinder am Arbeitsmarkt, die Chance, hier studieren zu können, wenn denn das alles so wird, wie in den Blut-, Schweiß- und Tränen-Reden des Ministerpräsidenten.


Gerade deshalb ist es wichtig, dass es mit der LINKEN eine Kraft gibt, die den Menschen im Land signalisiert, dass es zu dieser Schrumpfungs- und Abwärtsspirale auch Alternativen gibt, dass die Messen nicht gesungen sind, dass sich Widerstand lohnt und ein Hierbleiben und Engagement in diesem Land auch Früchte tragen können. 


Und hier sind wir an der Stelle, an der wir mit unserem Wahlprogramm schon gewesen sind. Wir brauchen eine handlungsfähige politische Alternative zu dieser Landesregierung. Denn nur aus der Opposition heraus und nur mit gesellschaftlichem Druck werden wir aus dieser schlechten Regierung keine gute machen können. Dann stellt sich allerdings die Frage nach einer Alternative. 


Und ja, liebe Genossinnen und Genossen, da sind wir wieder bei der vermeintlichen Gretchenfrage der LINKEN: Wie hältst du es mit der SPD? Eine SPD, die sich mit ihrem Bundestagswahlprogramm sehr wohl weiter links aufstellte, es aber inzwischen fast wieder vergessen hat. Eine SPD, deren  stellvertretender  Ministerpräsident inzwischen zu Recht als Personifizierung von Schrumpfung und Abwicklung gilt. Eine SPD, die unter Schröder die Agenda 2010 durchgesetzt hat und die hier zusammen mit der CDU seit 2005 für die entstandene Situation verantwortlich ist.


Es ist aber auch die gleiche SPD, deren Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl die Landesregierung so scharf kritisierte, dass er von den Medien als Speerspitze der Opposition dargestellt wurde. Es ist die gleiche SPD, deren Landes- und Fraktionsvorsitzende die Koalition mit der CDU permanent öffentlich in Frage stellt, es ist die gleiche SPD, deren OB von Magdeburg meint, dass die Landesregierung mit ihrem Sparkurs das Land ins Chaos führt. Und es ist die gleiche SPD, die zusammen mit den Jusos bei den Protestkundgebungen gegen die eigene Landesregierung demonstriert. Und es ist letztlich die gleiche SPD, in der sich inzwischen die Erkenntnis verbreitet, dass der Kurs der Agenda 2010 und die Kooperation mit der CDU, zumindest für die eigene Partei, dauerhaft schaden. 


Insofern ist das Bild dieser Partei bei uns im Land genau wie im Bund ambivalent. Dieser Eindruck verstärkt sich noch mehr, wenn man einmal vergleicht, was dieselben Sozialdemokraten in den Ländern getan haben, in denen sie zum einen mit der CDU und zum anderen mit der LINKEN kooperiert oder koalieren haben. 
Während Jens Bullerjahn zusammen mit der CDU klassische Positionen neoliberaler Haushaltspolitik verkündet, war er acht Jahre lang der Garant in der SPD für die Tolerierung durch die PDS. 
Während in Brandenburg die CDU die Asyl- und Flüchtlingspolitik in der Vergangenheit schon mal dem erzkonservativen CDU-Mann Schönbohm überlassen hat, wird dort in der Koalition mit der LINKEN vieles getan, um die Situation von Flüchtlingen und Migranten zu verbessern. 
Während die SPD in Berlin mit der LINKEN den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor aufgebaut hat, werden jetzt diese Erfolge mit der CDU dort zunichte gemacht. 
Ein ähnliches Bild bietet sich in Mecklenburg-Vorpommern. 


Das Problem der SPD ist die SPD natürlich selbst. Aber das nächste Problem der SPD vor allem hier in Sachsen-Anhalt ist ihr schlechter Umgang, den sie in dieser Koalition mit der CDU nun einmal hat. Wenn wir also im Landtag der SPD angeboten haben, zur Abwehr dieses Schrumpfungskurses mit ihr gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, geht es nicht darum, dieser Partei irgendeinen Gefallen zu tun, den sie ohnehin wahrlich nicht verdient hätte, sondern es geht darum, eine Möglichkeit zu finden, wie wir unsere inhaltlichen Ansätze für eine sozial gerechte Politik und einer nachhaltigen Entwicklung in die Realität umsetzen können. 


Dieses Angebot bleibt allerdings nicht ewig bestehen. Es ist geknüpft an die Hoffnung, den verheerenden Schrumpfungskurs dieser Koalition zu stoppen. Ein Machtwechsel ohne Politikwechsel ist keine Option für uns, weder heute noch in den nächsten Jahren. Uns geht es um das Brechen einer neoliberalen und konservativen Hegemonie in diesem Land und das werden wir nur schaffen, wenn es uns gelingt, dafür Mehrheiten in der Gesellschaft und im Parlament zu erringen.    


In den nächsten Wochen und Monaten werden wir uns vor allem damit beschäftigen, wie wir unsere Ansprüche an die öffentliche Daseinsvorsorge und die Teilhabe aller Menschen an der gesellschaftlichen Entwicklung konzeptionell und finanziell weiter untersetzen können. Dabei bleibt uns auch weiterhin ein Problem nicht erspart: Wir müssen unsere politischen Ziele auf der Landesebene umsetzbar machen, obwohl die finanziellen Rahmenbedingungen dies nur schlecht ermöglichen. Erfreulicherweise haben wir in den letzten Monaten bei den Protesten erlebt, dass sich die Menschen mit den Losungen der Haushaltskonsolidierung nicht mehr abspeisen lassen, wenn damit die sinkende Zahl von Lehrern, Polizisten, Studienplätzen, Kultureinrichtungen und Sozialausgaben begründet wird. Und erfreulicherweise ist bei diesen Protesten das Thema Verteilungsgerechtigkeit in den Mittelpunkt gerückt. Unsere Schwierigkeit besteht nun darin, dass mit diesem Bundestagswahl-Ergebnis und dem sich abzeichnenden Verhalten der SPD genau daran wenig geändert wird. Damit stehen wir wieder vor der Aufgabe, unsere Vorstellungen mit ungenügenden finanziellen Ressourcen umsetzen zu müssen. 


Liebe Genossinnen und Genossen, diese Aufgabe steht in der Opposition genauso wie in Regierungsverantwortung vor uns, weil ohne solche Konzepte auch der Druck aus der Opposition kaum Wirkung entfalten wird. 


Dies zwingt uns bei unseren politischen Forderungen, Schwerpunkte inhaltlich zu definieren, womit sich die meisten immer noch gut einverstanden erklären können. Das bedeutet aber auch, Forderungen zu definieren, die dann keine Schwerpunkte sind, was uns bekanntermaßen nicht leicht fällt. Aber zu überzeugenden politischen Angeboten, die die Mehrheit der Menschen erreichen sollen, gehört eben auch das. Und, liebe Genossinnen und Genossen, wir sollten auch in dieser Frage die Menschen im Land nicht unterschätzen. Die meisten von ihnen sind durchaus in der Lage, den Unterschied zwischen Handlungsmöglichkeiten und politischem Ziel zu erkennen. Und wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, so bitte ich Euch einfach, einmal nach Halberstadt zu sehen, wo unser Oberbürgermeister kurz vor der Bundestagswahl trotz schwierigster finanzieller Rahmenbedingungen im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht hat. 


Deshalb lasst uns selbstbewusst und mutig in die nächsten Auseinandersetzungen gehen. 


(Es gilt das gesprochene Wort)