Mindestsicherung ist ein Grundrecht

Interview mit Katja Kipping, Parteivorsitzende der Partei DIE LINKE.;

Anfang Dezember geht DIE LINKE in die nächste Phase ihrer Kampagne "Das muss drin sein". Mit dem Fokus auf dem Themenschwerpunkt "Mindestsicherung ohne Sanktionen statt Hartz IV" will die Partei auf das Unrecht des Hartz-IV-Systems und die Sanktionspraxis aufmerksam machen und Lösungen aufzeigen.

 

 

Interview mit Katja Kipping, Parteivorsitzende der Partei DIE LINKE

 

Anfang Dezember geht DIE LINKE in die nächste Phase ihrer Kampagne "Das muss drin sein". Mit dem Fokus auf dem Themenschwerpunkt "Mindestsicherung ohne Sanktionen statt Hartz IV" will die Partei auf das Unrecht des Hartz-IV-Systems und die Sanktionspraxis aufmerksam machen und Lösungen aufzeigen. Wir haben dazu mit der Parteivorsitzenden Katja Kipping gesprochen.


F: Warum kritisiert DIE LINKE das bestehende Hartz-IV-System?

Der momentan geltende Hartz-IV-Regelsatz reicht kaum aus, um im Alltag über die Runden zu kommen. Selbst wenn keine größeren Ausgaben wie beispielsweise die Anschaffung einer neuen Waschmaschine oder die Klassenfahrt des Kindes anstehen, ist es schwer, den alltäglichen Bedarf mit diesem Geld zu bestreiten. Wenn dann aber auch noch die Miete erhöht wird und die Zusatzkosten nicht vom Amt übernommen werden, stehen die Betroffenen vor der Entscheidung: Schalten wir die Heizung ab, um Kosten zu sparen? Gehen wir zur "Tafel", um am Monatsende noch etwas zu essen zu bekommen?
Schon allein das ist eine unzumutbare Situation, aber als sei dies nicht Belastung genug, werden die Leistungen bei Verstößen gegen unsinnige Auflagen sogar durch sogenannte "Sanktionen" noch gekürzt. Dass diese Sanktionspraxis sogar gegen das Grundgesetz verstößt, weil damit das Existenzminimum unterschritten wird, hindert die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in den Jobcentern nicht, sie immer wieder anzuwenden – 2014 lag die Zahl der verhängten Sanktionen bei etwa 1 Million! Das dürfen wir so nicht hinnehmen, weil Grundrechte an keine Bedingungen geknüpft sind, schon gar nicht an ein Wohlverhalten der Betroffenen.


F: Wenn Hartz IV abgeschafft wird, heißt das dann, dass Erwerbslose gar keine Unterstützung mehr bekommen? Was genau fordert DIE LINKE stattdessen?

Nein, die Abschaffung der Hartz-IV-Leistungen soll nicht zur Folge haben, dass keinerlei Leistungen mehr ausgezahlt werden. Im Gegenteil: Leistungen sollen angemessen sein und eine sichere Existenz ermöglichen, ohne Repressionen.
Deshalb fordern wir die Verwirklichung des Rechts auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe, auf ein Leben ohne Armut, denn das ist ein Menschen- und Grundrecht. Dazu haben wir Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie zum Beispiel ordentliche Löhne und ein Mindestlohn, ausreichende Mindestsicherung und Mindestrente, eine Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen analog der Forderungen der Wohlfahrtsverbände und Teilen der Gewerkschaften, ein kostenfreier Nahverkehr, kostenfreies individuelles Kilometerkontingent für Behindertenfahrten, kostenfreie und autonome Funknetze, gebührenfreie Kindertagesstätten.


F: Aber was tut die LINKE konkret?

Forderungen allein im Parlament aufstellen hilft nicht. Im Bundestag haben wir erst kürzlich einen Antrag auf Abschaffung aller Sanktionen eingebracht, der von Union, SPD und Grünen allerdings abgelehnt wurde. Das Hartz-IV-Unrechtssystem muss politisch gestürzt werden – und da müssen wir auf engagierte Bürgerinnen und Bürger, auf die soziale Bewegung, auf Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften setzen, die der herrschenden Politik Beine machen.
Aber auch wir als LINKE sind da auf allen politischen Ebenen gefragt und aktiv. Ein Beispiel aus der kommunalpolitischen Praxis: Unsere Landrätin Michaele Sojka aus dem Altenburger Land im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten über die Trägerversammlung Druck gemacht, damit das Jobcenter dort die Sanktionspraxis abmildert


F: Im ihrem Wahlprogramm hat DIE LINKE die Mindestsicherung auf 1.050 Euro festgesetzt. Warum genau diese Summe?

Das Europäische Parlament fordert – dank der Initiative von Gabi Zimmer und anderen – zu recht in seinen Entschließungen, dass Mindesteinkommen, ob nun als Sockel in den Sozialversicherungen oder als eigenständige Mindestsicherung, Mindestrente beziehungsweise als Grundeinkommen, mindestens die Höhe der Armutsrisikogrenze haben müssen! Die Armutsrisikogrenze wird nach europäischem Standard bei 60 Prozent des jeweiligen nationalen Medianmittels der Nettoeinkommen gezogen. Hochgerechnet mit den jährlichen Steigerungsbeträgen wäre die durchschnittliche Armutsrisikogrenze derzeit bei mindestens 1.050 Euro netto. Aber auch anhand des sogenannten "Warenkorbkonzepts" kommt man auf diese Höhe: Eine umfangreiche Studie von Lutz Hausstein ergab, dass die Ausgaben für notwendige Güter, Dienstleistungen und für eine niedrige Miete für Alleinstehende in Deutschland mindestens 1.034 Euro netto im Monat betragen. Wenn die Miete über 300 Euro liegt, was oft der Fall sein wird, entsprechend mehr. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Arbeitslosengeld beträgt 862 Euro, die durchschnittliche Höhe der gesamten Hartz-IV-Leistung Alleinstehender rund 700 Euro.
Aber der Kern unseres Mindestsicherungskonzepts besteht nicht nur darin, dass sie vor Armut schützt. Sie ist zudem sanktionsfrei und individuell. Sie macht Schluss mit unwürdigen Sanktionen und Überwachung der sozialen Beziehungen.


F: Hartz-IV ist das eine. Aber inwiefern wirkt sich dieses auch auf den Arbeitsmarkt aus?

Das Gespenst "Hartz-IV" hat durchaus Auswirkungen auf die Beschäftigten: Die Angst, vor Erwerbslosigkeit macht sie erpressbar, sie nehmen jeden noch so schlecht bezahlten Job an, um nicht in das System zu fallen. Dazu werden sie ja auch vom Jobcenter gezwungen. Das wiederum drückt die Löhne aller Beschäftigten. Die Folge sind immer weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir fordern stattdessen eine Umverteilung und Verkürzung der Erwerbsarbeit durch einen öffentlichen Beschäftigungssektor für sinnvolle sozialversicherungspflichtige und ordentlich bezahlte Arbeit in der Bildung, Gesundheitsversorgung und Pflege.

 


Mit verschiedenen Aktionen vom 1. bis 13. Dezember 2015 wird die Partei DIE LINKE auf das Unrechtssystem Hartz IV aufmerksam machen und Lösungen aufzeigen. Damit für alle Menschen Wohnen, Essen, Strom und Kultur selbstverständlich sind. Das muss drin sein.

 

Material zur Aktionswoche:

Hinweise zur Aktion (PDF)

Interview mit Katja Kipping (PDF)

Mindestsicherung zum Schutz vor Armut (PDF)

Handzettel zur Mindestsicherung (PDF)

Postkarte