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Politik darf Demokratie nicht als Worthülse vor sich hertragen.

Janina Böttger und Hendrik Lange

Zur Untersuchung zu rechten und demokratiefeindlichen Einstellungen in Ostdeutschland erklären die Landesvorsitzenden Janina Böttger und Hendrik Lange:

Die Befunde des Leipziger Forschungsteams sind ernst. Systematisch bestätigen die Zahlen für die ostdeutschen Bundesländer: Der Osten hat ein bedrückendes Demokratieproblem. Noch einmal besonders hoch sind ausländerfeindliche und autoritäre Einstellungen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Nur ein Drittel der Befragten in Sachsen-Anhalt ist zufrieden mit der Demokratie im Alltag. 

Im Nachhall zweier Weltkriege war vielen bewusst, Gesellschaft kann zu einem gefährlichen Ort werden. Auch deshalb war der Weg für Rechtsextreme in die deutschen Parlamente steiniger als in vielen Nachbarländern. Die später geschassten Gründer der AfD waren mit ihrem Wirtschaftsprogramm der Türöffner für neue Mehrheiten. Die Professoren (aus dem Westen) haben den Nazis (auch im Osten) den Weg gebahnt. Zuerst ging es gegen den Euro, dann gegen Migranten.

Aktiviert ist jetzt, was es latent, wie Soziologen sagen, auch vorher gab: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus. Aber niemand muss sich mehr damit verstecken. Weder in Bremen, noch in Sonneberg. Und jeder weiß, nach Trump, mit Orban oder Meloni, – alles ist möglich. 

Krisen sind kein Humus für die Demokratie. Corona ist als pandemische Gefahrenlage vorbei, die politischen Verwerfungen fangen erst an. Autonomieverlust, Zwangsmaßnahmen und wirtschaftliche Bedrängnis haben Reichbürgerinnen, Nazis, Antisemiten neuen Zulauf beschert. Und Ukrainekrieg und Klimakrise haben den Glauben der meisten Europäerinnen und Europäer zerstört, dass Katastrophen nie vor der eigenen Haustür stattfinden werden. Ob Wohlstand und Erspartes sicher bleiben, ist schon seit den Finanzkrisen nicht mehr gewiss. 

Politik hat einen blinden Fleck. Parteien versprechen Fortschritt oder wenigstens Verbesserung. Dabei ist beides gar nicht sicher und besser wird es oft nur für die ewig Gleichen. Das Gegenteil von Fortschritt ist gar nicht sagbar, aber trotzdem möglich. Die Barbarei kam nicht vom Mond. Neue Zweifel und alte Ängste werden gar nicht adressiert. In Zeiten des Wandels verlieren immer mehr Menschen ihr Vertrauen in die Steuerfähigkeit des Staates und der Wirtschaft. Millionen Menschen fragen sich, welcher Arbeitsplatz in zehn Jahren noch existiert, ob die Rente für die Miete reichen wird und ob sie als Kassenpatient rechtzeitig einen guten Arzt finden werden. 

Auch Großinvestitionen – zehn Milliarden Steuer-Euro für Magdeburg – lassen die alten Industriezentren nicht wiederauferstehen. 3.000 Arbeitsplätze sind versprochen, aber 30.000 aus DDR-Zeiten sind verloren gegangen. Nicht mal 50 Prozent der Befragten verstehen sich als Gewinner der Einheit, 25 Prozent gar als Verlierer. Das ist zu lange abgetan worden von Medien, von Politik, von Nachgeborenen. Für die Fehler im Einheitsprozesses, gemacht von West- wie von Ostdeutschen, ist kein öffentlicher Platz – bis heute nicht. Im Westen geschah die Integration in die liberale Demokratie über den wirtschaftlichen Aufstieg. Nach 1989 blieb das Wirtschaftswunder im Osten aus. 

Die erfolgreichste Kampagne des letzten Jahres war die Mobilisierung gegen das Bürgergeld. Über die Länderkammer inszenierte sich die CDU als quasi vierte Regierungspartei und als vermeintliche Kämpferin für Ordnung und Arbeitsmoral, als Hüterin der Staatsfinanzen. Verlierer waren die Betroffenen und die öffentliche Meinung. Statt über soziale Sicherheiten in einer digitalisierten Arbeitswelt zu diskutieren, stellt Deutschland fest, der Zwang gegen Arbeitslose ist nicht verhandelbar. 

Die Möglichkeiten für den Einzelnen werden weniger, wirtschaftlicher und Bildungs-Aufstieg schwerer, individueller Abstieg wahrscheinlicher. Die Mittelschicht wird schmaler. Es gibt viel zu verlieren, in einem relativ reichen Land. Wie im Kontrast emanzipieren sich immer mehr bedrohte und bedrängte Gruppen: Frauen, Queers, Schwarze und Migrantinnen wollen nicht mehr dulden, dass sie die Blitzableiter in der Gesellschaft sind. Aber Chancengerechtigkeit setzt Konkurrenz noch nicht außer Kraft. Auch ein besserer Markt bleibt ein Markt.

Die Linke versteht rechte Mobilisierung zuerst als Angriff auf die Marginalisierten. Zurecht, denn Rassismus, Frauenhass und Antisemitismus sind Vernichtungsideologien. Rechte Ideologen präsentieren Schuldige, und die mögliche Sanktionierung gleich dazu: Selbstgewisse Frauen verantworten den demografischen Wandel, Migranten das Sicherheitsproblem, Juden die Impfstoffe. In der parlamentarischen Demokratie findet sich hingegen nichts und niemand, der verantwortlich ist für Lehrermangel, explodierende Preise und wachsende Gewalt. Die Hinwendung zu rechten Parteien ist eben auch Mittel gesellschaftlicher Positionierung. Im Osten, in Europa und weltweit. Die Hinwendung zum Autoritären ist ein Versuch, in einer Welt zu bestehen, in der immer fraglicher wird, was Erfolg garantiert und was nicht. Der Rückgriff auf alte Etabliertenrechte ist ein Erfolgsmodell, das lange noch nicht am Ende ist.

Schon deshalb: Wir werden das Schwinden von Sicherheit ernster nehmen müssen. Wir müssen unsere Vorstellungen einer liberalen Demokratie gewinnend und überzeugend beschreiben. Politik darf Demokratie nicht als Worthülse vor sich hertragen. Mit der Wahl der AfD wird nicht nur, wird nicht einfach Protest artikuliert, sondern Demokratieverdruss und Menschenfeindlichkeit. 

DIE LINKE redet nicht nur von Freiheit. Der Wesenskern einer emanzipierten Gesellschaft, einer guten Gesellschaft ist die Freiheit von Angst. Für alle.