Zum neuen Schuljahr - Mehr Einstellungen junger Lehrerinnen und Lehrer und verbindliche Weichenstellungen für den Gemeinsamen Unterricht (Kopie 1)

Zu Beginn des neuen Schuljahrs erklärt Birke Bull, Landesvorsitzende und bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE:

„Zunächst ist allen Schülerinnen und Schülern ein interessantes und erfolgreiches Schuljahr zu wünschen. Auch für die Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, für die Beamtinnen und Beamten in den Schulbehörden hoffe ich, dass es ein gutes Jahr wird, mit neuen Herausforderungen, und auch Freude an der Arbeit, neuen Ideen.

Leider klemmt aber hier viel zu oft noch die Säge. Über Jahre wird der sich nicht mehr nur abzeichnende sondern an manchen Stellen schon akut zu Tage tretende Lehrkräftemangel von der Landesregierung weitgehend ignoriert. Der Neueinstellungskorridor ist zu eng. Trotz Unterrichtsausfalls erhalten junge gut ausgebildete Absolventinnen und Absolventen in einer Reihe von Fällen für den Schuldienst in Sachsen-Anhalt eine Absage. Es muss endlich umgesteuert werden. 2013 müssen mindestens so viele neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden, wie in Sachsen-Anhalt in den Staatlichen Seminaren ihre Ausbildung beenden. Und es ist nötig, sich von den unrealistischen Zielzahlen beim Lehrerpersonal zu verabschieden und eine realistische Personalentwicklung auf den Weg zu bringen. Mit dem Nachtragshaushalt besteht dazu nochmals eine Chance.

Eine zweite Baustelle bewegt die Gemüter: die Probleme der Inklusion, des Gemeinsamen Unterrichts. DIE LINKE ist eine Verfechterin von Gemeinsamen Unterricht aller Kinder und Jugendlichen – nicht erst seit der UN-Behindertenrechtskonvention. Seit ihrem Inkrafttreten ist Deutschland, ist Sachsen-Anhalt auch in der Pflicht.
Wir sagen ganz klar: Das Hinwursteln der Landesregierung beim gemeinsamen Unterricht gefährdet das Projekt. Es müssen jetzt Entscheidungen getroffen und die Weichen gestellt werden.

Die Personalressourcen der Förderschulen werden an den Regelschulen gebraucht, dort müssen sie zum Einsatz kommen. Auch wir müssen davon ausgehen, dass die Personalsituation angespannt ist. Deshalb schlagen wir vor, die integrativen Angebote vorsichtig zu konzentrieren, um einen effektiven Lehrkräfteeinsatz zu ermöglichen. Das soll eine Lösung sein, die nicht für alle Ewigkeit gilt, schrittweise müssen wir dahin kommen, dass jede Schule eine inklusive Schule ist.
Werden solche realistischen Schritte nicht umgehend auf den Weg gebracht, verkommt der Gemeinsame Unterricht, ob gewollt oder nicht, zur Einsparvariante, die auf dem Rücken der Lehrerinnen und Lehrer, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgetragen wird. Das ist nicht mehr hinnehmbar.

Meine Fraktion hat in einem Entwurf für ein Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes neben den Vorschlägen zur Entwicklung vor allem der Sekundarschulen Vorschläge gemacht, wie die Zielstellungen zur Inklusion schrittweise – auch unter den Bedingungen knapper Personalressourcen – erreicht werden können. Bisher deutet nichts darauf hin, dass die Koalition bereit wäre, im Gesetzgebungsverfahren diese Anregungen aufzugreifen.

Es geht um die Gemeinschaftsschule. Eine Zielstellung, die wir teilen. Aber das, was die Landesregierung hier auf den Weg bringen will, mag dem kleinsten gemeinsamen Nenner in der Koalition entsprechenden, deren schulpolitische Positionen sich ähneln wie der Tag der Nacht – zu einer nachhaltigen Entwicklung auf den Feldern, wo der Schuh besonders drückt, in der ganzen Breite des Schulwesens in Sachsen-Anhalt wird es nicht führen. Man ist an Tucholskys „Ein älterer, aber leicht besoffener Herr“ erinnert: „Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich. Und das is sehr wichtig fier einen selbständjen Jemieseladen!“. (Kurt Tucholsky-Erzählungen und Prosastücke Gesammelte Schriften(1907-1935)

Wir streben die Gemeinschaftsschule ernsthaft an. Das heißt aber auch anzuerkennen, dass dazu ein längerer Entwicklungsweg eingeleitet werden muss. Das geht nur in homöopathischen Dosen. Die unterschiedlichen Bildungswege in der Sekundarstufe I müssen in ihrem Niveau angeglichen werden. Neue inhaltliche Profile sind erforderlich, polytechnische Angebote, frühes Erlernen von Fremdsprachen, ein erfahrungsorientierter Unterricht der mehr auf Verstehen und Entdecken als auf Auswendiglernen setzt, soziales Lernen, sozialpädagogische Arbeit im Rahmen der Schule gehören dazu. Das kann nur gelingen, wenn sich viele gesellschaftliche Akteure für schulische Bildung engagieren, wenn Schuldemokratie weiterentwickelt wird.

Das sind Entwicklungen, von denen wir meinen, dass sie an allen Schulen begonnen werden müssen. Im Zentrum stehen für uns dabei die Sekundarschulen, weil sie nach wie vor eine wichtige Säule unseres Schulwesens sind. Und nicht zuletzt deshalb, weil viele Kinder aus Familien, die nicht zu den Gewinnern unserer Gesellschaft zählen, dort zur Schule gehen und gute Chancen haben müssen, solide und auch höchste Bildung zu erwerben. Wenn das erfolgreich gelingt, wird die Allgemein bildende Gemeinschaftsschule als einheitliche Schulform in der Sekundarstufe I Akzeptanz gewinnen. Dieses Ziel haben wir vor der Wahl in unserem Konzept „Eine Schule für alle Kinder“ beschrieben – dabei bleibt es, daran arbeiten wir weiter.

Ob die auf freiwilliger Basis im Gesetzentwurf der Landesregierung vorgesehenen Gemeinschaftsschulen dazu einen Beitrag leisten können, wird sich zeigen. Zweifel sind angebracht. Der Gesetzentwurf hat erhebliche Mängel. Halbherzig ist er allemal. Gleichwohl, den Schulen, die Gemeinschaftsschulen werden wollen oder heute schon nach ähnlichen Konzepten arbeiten, drücken wir besonders die Daumen und erhoffen uns viele neue Impulse für bessere Schulen und erfolgreiches Lernen aller Kinder und Jugendlicher.

Der Gesetzentwurf meiner Fraktion liegt auf dem Tisch. Es ist eine Alternative zum Entwurf der Landesregierung. Es ist an der Koalition, konstruktiv mit den Vorschlägen umzugehen. So könnten brennende Probleme des Schulwesens in Sachsen-Anhalt angegangen werden. Anderenfalls droht eine Mogelpackung, auf der nur „Gemeinschaftsschule“ steht.

Magdeburg, 5. September 2012