Wem nützt Herr Sarrazin?

Sarrazin projiziert die soziale Polarisation in Deutschland auf MigrantInnen und lenkt damit – ausländerfeindliche Ressentiments wohl bewusst nutzend – vom eigentlichen Problem, dem Auseinanderdriften der Gesellschaft insgesamt, ab.

Sarrazin projiziert die soziale Polarisation in Deutschland auf MigrantInnen und lenkt damit – ausländerfeindliche Ressentiments wohl bewusst nutzend – vom eigentlichen Problem, dem Auseinanderdriften der Gesellschaft insgesamt, ab.

Vieles von dem, was Sarrazin MigrantInnen zuordnet, findet man de facto ebenso in Gebieten, wo fast keine AusländerInnen zu finden sind, die dafür aber inzwischen, und nicht zuletzt infolge von Hartz IV, zu Hochburgen des so genannten Prekariats geworden sind.
Bildungsferne, höhere Geburtenraten, hohe Abhängigkeit von Sozialtransfers – all das sind keine Alleinstellungsmerkmale von MigrantInnen, sie sind ebenso fest in der deutschen Bevölkerung verankert.
Das gilt – weiter gefasst – auch für eine kulturelle Identität. Menschen mit geringer Bildung haben oftmals eine gravierend geringere gesellschaftliche Teilhabe auf fast allen Gebieten, völlig unabhängig von ihrer Herkunft. Allein das Problem defizitärer Sprachfähigkeit vieler deutscher Kinder belegt das sehr deutlich.
Das Dilemma aber liegt nicht in der An- oder Abwesenheit von MigrantInnen begründet, die heutige Situation in Deutschland und vor allem deren Verschärfung in den letzten Jahren (Armutsrisiken, soziale Ausgrenzung, fehlende Chancen- und auch Verteilungsgerechtigkeit etc.) ist Resultat von.
Es ist völlig unerheblich, ob Sarrazin das nicht sehen will oder nicht sehen kann. Was er von sich gibt, ist ohne WENN und ABER zurückzuweisen, allein mit seinen „genetischen Zuordnungen“ diskreditiert er sich selbst hinreichend. Aber die Debatte, wie sie jetzt geführt wird, ist für das politische Establishment nützlich, weil sie von den Kernproblemen ablenkt. Nicht die MigrantInnen sind das Problem in Deutschland, sondern die von der herrschenden Politik herbeigeführte und wachsende soziale Spaltung.

Die Thesen von Herrn Sarrazin sind keine unbequemen Wahrheiten, sie sind gefährliche Lügen. Der Rassismus in Nadelstreifen, den er bedient, ist eine größere Bedrohung der demokratischen Gesellschaft, als prügelnde Skinheads. Aber bislang wird dieses Problem in der öffentlichen Debatte ausgeblendet – entweder es wird als solches nicht wirklich erkannt, oder man will es nicht sehen.

Wulf Gallert
Fraktionsvorsitzender