Institution Verfassungsschutz hat sich selbst delegitimiert

Henriette Quade

Zum heute vorgestellten Verfassungsschutzbericht erklären die innenpolitische Sprecherin Henriette Quade und die rechtspolitische Sprecherin Eva von Angern:

Zum heute vorgestellten Verfassungsschutzbericht erklären die innenpolitische Sprecherin Henriette Quade und die rechtspolitische Sprecherin Eva von Angern:

»Die Befunde sind nicht neu: Sachsen-Anhält hat ein Problem mit Neonazis und rechtsmotivierten Tätern. Jede Rede von Angst als Ausgangspunkt, ‚Asylkritikern’ und ‚besorgten Bürgern‘ verharmlost das Ausmaß rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt, aber auch bundesweit. 

Mit Blick auf den heute veröffentlichten Verfassungsschutzbericht ist besonders bedenklich, dass die Behörde, die sich selbst als Frühwarnsystem begreift, offensichtlich eklatante Wahrnehmungsdefizite hat: Wenn im Bericht und der polizeilichen Kriminalstatistik von 149 rechtsextremen Gewalttaten die Rede ist, stehen dem 265 durch die Mobile Opferberatung registrierte Fälle gegenüber. Der Bericht erfüllt also nicht einmal die Aufgabe, verlässliche Statistiken zu liefern. 

Eine ebensolche Lücke besteht in der Beurteilung von Entwicklungen innerhalb der rechten Szene. Über Jahre wurden Reichsbürger auch vom Verfassungsschutz als Spinner, die kaum etwas mit  rechten Strukturen zu tun hätten und nicht als rechtsextrem zu begreifen seien, eingeschätzt. Einher ging damit eine massive Unterschätzung des Gefährdungspotentials, das der Rechten im Allgemeinen und eben auch der sog. Reichsbürgerbewegung im Besonderen innewohnt. Die Einschätzung, dass nur 20% der Reichsbürger rechtsextrem seien, ist nach wie vor eine unglaubliche Fehleinschätzung. 

So lange als rechtsextrem nur gilt, wer NPD-Mitglied ist oder war, ‚Sieg Heil’ ruft und selbst artikuliert, aus rassistischen Motiven zu handeln, kann der Verfassungsschutz keine verlässliche Auskunft über Gefährdungen für diese Gesellschaft und die Demokratie geben. 

Das Prinzip Quellschutz über allem anderen, die fehlenden Kontrollmöglichkeiten für einen solchen Geheimdienst, die ideologische Verhaftung in der Extremismustheorie und die ungeheure und bis heute vor allem wegen des Vertuschungswillens der Behörde Verfassungsschutz nicht abschließend aufgeklärte Verwobenheit mit dem Terrornetzwerk NSU zeigen vor allem eins: Die Institution Verfassungsschutz hat sich durch ihr Agieren selbst delegitimiert, kann keine verlässliche Auskunft über Gefährdungen für Demokratie und Gesellschaft geben und gehört abgeschafft. 

Nur wenige Tage vor der Veröffentlichung des Berichtes wurde bekannt, dass die Verurteilung eines rechtsextremen Täters wegen eines Angriffes auf einen Journalisten scheiterte, weil die entscheidende Zeugenaussage durch die Polizei verschlampt wurde. Auch das zeigt:  Es fehlt an mehreren Stellen im Land an einem adäquatem Umgang mit Neonazis und rechtsextremen Akteuren. Im sechsten Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU ein verheerender Befund. 

Auch über die Einschätzung des Verfassungsschutzes zur AfD ist dieser Tage einiges zu lesen. Dazu bleibt festzustellen: Eine Fraktion, die seit über einem Jahr im Landtag immer wieder mit gezielten Provokationen, Anleihen an Sprache und Ideenwelt des Nationalsozialismus und Entgleisungen wie der Rede von ‚Wucherungen am deutschen Volkskörper‘ und  ‚Ficki-Ficki-Fachkräften’ auffällt oder aber Kultureinrichtungen vorschreiben will, welchen Geist sie wie zu fördern haben, lässt keinen Zweifel an ihrer Gesinnung.

Die Verbindungen zur Identitären Bewegung, zur faschistischen  Casa Pound, die personellen Verbindungen zu ehemaligen NPD-Kadern und auch der nun vom Verfassungsschutz ‚geprüfte’ Chat inklusive der heute in der MZ zitierten Vernichtungsphantasien eines AfDlers, der in der Landtagsfraktion der AfD ein und ausgeht, sind allesamt öffentlich und maßgeblich durch journalistische und antifaschistische Recherche bekannt geworden. Um eine Ahnung zu bekommen, wie rechts die AfD in Sachsen-Anhält aufgestellt ist, braucht man sich nur eine Landtagssitzung anzuschauen. Den Verfassungsschutz braucht man dazu nicht.«