Bundespräsident stellt sich als Verfassungsorgan selbst in Frage

Mit seinem gestrigen Interview hat der Bundespräsident seine Probleme nicht geklärt, er hat sie überdeutlich werden lassen. Selbstgerechtigkeit statt ehrlicher und ernsthafter Einsicht, halbherzige Entschuldigungen – und möglicherweise erneut eine Unwahrheit: Eine Veröffentlichung verschieben oder verhindern wollen, das sind schon zwei sehr verschiedene Dinge.

Waren die Vorgänge um seine Hausfinanzierung schon einigermaßen dubios, so ist das, was dann folgte, nicht hinnehmbar. Wenn ein Verfassungsorgan dieses Landes – eben der Bundespräsident, der auch jedes Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen hat, bevor er es mit seiner Unterschrift in Kraft setzt – an Grundfesten dieser Verfassung, der Pressefreiheit, ernsthaft rüttelt, wie es ja offensichtlich geschehen ist, dann ist das in letzter Konsequenz Machtmissbrauch.

Die politische Klasse, vor allem aber die Öffentlichkeit, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes müssen laut und deutlich artikulieren, was sie davon halten, ob dies der Bundespräsident ist, den sie sich wünschen, der die Bundesrepublik Deutschland als Staatsoberhaupt repräsentiert.

Und vor allem der Bundespräsident selbst muss erkennen und entscheiden, ob er noch in der Situation ist, seinen Aufgaben in der Weise nachzukommen, wie sie das Grundgesetz und die Öffentlichkeit vorschreiben und erwarten. Parteipolitische Süppchen zu kochen, ist jetzt das denkbar Schlechteste – es geht um das Ansehen und den Wert der Demokratie in unserem Land.

Magdeburg, 5. Januar 2012

Birke Bull
stellv. Fraktionsvorsitzende