Europäische Idee bewahren – Rechtsstaatlichkeit verteidigen – Menschenrechte schützen
Henriette Quade, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, betont in der heutigen Landtagsdebatte um „Europäische Idee bewahren – Rechtsstaatlichkeit verteidigen – Menschenrechte schützen“:
„Seit Montag wird die jahrzehntealte Kernforderung der extremen Rechten erfüllt. Endlich wieder Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen. Das ist also der Fortschritt der selbst ernannten Fortschrittskoalition. Eine SPD-Innenministerin erklärt, mit Augenmaß umzusetzen, wovon Horst Seehofer nur träumen konnte. Die Grünen rühmen sich im Bundestag dafür, durchzusetzen, was die Union in ihrer Regierungszeit maximal hinter vorgehaltener Hand erhoffte. Autokraten wie Viktor Orbán zollen Beifall. Herzlichen Glückwunsch, liebe Ampel, sie sollten sich schämen!
Statt nach dem Anschlag von Solingen endlich eine seriöse und an Ursachenforschung und -bekämpfung orientierte Auseinandersetzung mit Islamismus und islamistischen Terror anzugehen, gibt es Aktionismus und Augenwischerei im Bereich der Innenpolitik und gefährlichen Populismus, die Übernahme rechter Narrative und Kollektivstrafen gegen Migrant:innen. Den Effekt einer Politik, die vorgibt, endlich wieder rechtsstaatliche Härte walten lassen zu wollen, indem sie auch in islamistische Regime abschiebt, haben wir erst kürzlich gesehen: Nach einer Woche war ein Teil der Anfang September nach Afghanistan abgeschobenen Straftäter frei. Das Prinzip „Hauptsache Abschieben“ bedeutet faktisch auch Straffreiheit, insbesondere für islamistische Straftäter.
Wer Islamismus in Deutschland bekämpfen will, muss klären, was ihn insbesondere für junge Männer attraktiver macht als die demokratische Gesellschaft. Wir brauchen Vereinsverbote, wir brauchen muslimische Gemeinden und Zentren, die sich klar von Islamismus und Antisemitismus abgrenzen, eine staatliche Förderung, für diejenigen, die das nicht tun, ist nicht hinnehmbar. Wir brauchen Waffenbehörden, die geltendes Waffenrecht auch umsetzen, mehr Radikalisierungsprävention, mehr Sozialarbeit, mehr Integrationsarbeit und wir brauchen bessere Analysefähigkeit von Sicherheitsbehörden in Bezug auf modernen Terror im 21. Jahrhundert.
Menschen im Dublinverfahren die Sozialleistungen zu entziehen ist nicht nur eine offensichtliche Ignoranz des Leitsatzes des Bundesverfassungsgerichtes „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“, sondern auch das Gegenteil von Kriminalitätsbekämpfung, weil es Menschen in die Illegalität treibt. Grenzkontrollen verstoßen gegen den Schengener Grenzkodex und legen die Axt an die Basis der Europäischen Union.
Eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Clara Bünger zeigt: Zu weniger als 8 Prozent der bei den bereits erfolgenden Grenzkontrollen als unerlaubt Einreisende registrierten Menschen lag eine Registrierung in einem anderen EU-Staat vor. Wenn Merz, Söder und andere so tun, als hingen Wohl und Wehe der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik an der Frage der direkten Zurückweisung dieser Personengruppe an der deutschen Grenze, dann reden wir von 3.300 Personen im ersten Halbjahr 2024. Weder die Anwesenheit dieser Menschen, noch die Streichung der Sozialleistungen der 7.000 Menschen bundesweit in diesem Status, was nichts andere als ein Aushungern ist, hat etwas damit zu tun, ob Kommunen hier genug Geld für Schwimmbad und Theater haben, ob es genügend Lehrkräfte gibt, oder ob sich Menschen in Sachsen-Anhalt auf eine funktionierende Infrastruktur verlassen können.
Europäische Gerichte verbieten regelmäßig bis heute z. B. Dublin-Überstellungen nach Italien oder Griechenland und mehr als zwei Drittel der Eilanträge vor Gericht in diesen Fällen haben Erfolg. Zurückweisungen an den Grenzen brechen mit Europäischer Menschenrechtskonvention und Genfer Flüchtlingskonvention. Das Versprechen, Migration mit Grenzkontrollen und Zurückweisungen drastisch zu reduzieren, ist eines, das nicht gehalten werden kann.
Wer permanent einen Notstand behauptet, den es nicht gibt, statt die realen Notstände – bezahlbarer Wohnraum, Lehrkräftemangel, Wegbröckeln von Infrastruktur, Lebensmittelteuerung, Arbeitskräftemangel, die Folgen des Versagens im Kampf gegen die Klimakrise – zu bekämpfen, der muss damit rechnen, dass Menschen angetrieben von der extremen Rechten die Dinge selbst in die Hand nehmen und mit Gewalt regeln wollen. Denn auch das ist die bittere Erfahrung der 1990er: Erst stirbt das Recht und dann der Mensch.
Jede Kampagne zur Anwerbung von Fach- und Arbeitskräften wird scheitern, wenn Abschottung, Menschenrechtsverletzungen und möglichst schlechte Bedingungen für Ausländer:innen das einhellige politische Signal von Regierung und Opposition sind. Das bedroht nicht nur die Zukunft der EU, es bedroht unmittelbar die Zukunft und die Entwicklungschancen Sachsen-Anhalts.
Diese Politik spaltet die Gesellschaft, macht Migrant:innen zu Sündenböcken und ist – gepaart mit der geplanten Halbierung der Mittel für Integration im Bundeshaushalt – integrationsfeindlich. Sie trifft damit vielfach gerade diejenigen, die vor islamistischem Terror, Unfreiheit und Unterdrückung geflohen sind. Sie stärkt Islamisten und die extreme Rechte. Wir haben keinen Notstand der Migration, wir haben einen Notstand der Menschlichkeit.“