Kennzeichnungspflicht jetzt!
Die Einführung einer allgemeinen Kennzeichnungspflicht garantiert die individuelle Zuordnung staatlichen Handelns und trägt folglich zur nachhaltigen Vertrauensbildung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei bei. Eine solche Kennzeichnung muss nicht zwingend über ein Namensschild umgesetzt werden, sondern kann auch in Form anonymisierter Ziffernfolgen geschehen.
Antrag der Fraktion DIE LINKE zur allgemeinen Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten des Landes Sachsen-Anhalt (PDF)
Besonders unrühmlich ist der Schlingerkurs der SPD als Koalitionspartner der Landesregierung in dieser Frage. Zuerst war man dagegen, dann sprach sich die Mehrheit der Partei in einem Mitgliederentscheid im Frühjahr 2012 für die Kennzeichnungspflicht aus. So wollte man dies auch im neuen Gesetz durchsetzen. Im Januar 2013 knickte die SPD-Fraktion wieder ein, die Kennzeichnungspflicht ist wieder vom Tisch.
Pressemitteilung der Linksjugend »SPD ignoriert eigenen Mitgliederentscheid«
Unabhängige Polizeibeschwerdestelle
DIE LINKE fordert eine Polizeibeschwerdestelle, institutionell und räumlich unabhänging vom Innenministerium. Nur so können Menschen, besonders die aus sozialen Randgruppen, Schwellenangst überwinden. Aber auch für Polizistinnen und Polizisten bedarf es im Konflikt mit ihren Vorgesetzten oder ihren Einheiten einer unabhängigen Instanz.
Argumente für die Kennzeichnung
Das Bündnis gegen Rechts Halle organisiert informative Veranstaltung (08.02) zur Kennzeichnungspflicht der Polizei
„Die Kennzeichnungspflicht ist ein fahrender Zug, auf den man nur noch aufspringen kann“: In Berlin seit 2011 umgesetzt, in Brandenburg Einführung 2013, in Bremen, in NRW, in BaWü im Koalitionsvertrag verankert, in Niedersachsen in Koalitionsverhandlungen. Joachim Rahmann von Amnesty International machte mit diesen zwei Sätzen deutlich, dass die Kennzeichnungspflicht politisch längst akzeptiert ist.
Damit wurde die Forderung, die sich Uwe Petermann von der Gewerkschaft der Polizei am Beginn der Veranstaltung höchstens als Utopie für seine Enkel vorstellen konnte, zu einer ganz selbstverständlichen. Die Polizistinnen und Polizisten, so der Gewerkschafter, würden Übergriffe und falsche Beschuldigen aus ihrem Dienstalltag heraus befürchten, sollten sie identifizierbar sein. Dabei dreht sich die Debatte um die Kennzeichnungspflicht nicht um den Streifendienst und die möglichen und tatsächlichen Gefährdungen von Polizisten, gerade wenn sich Ermittler und Straftäter im selben Wohnumfeld begegnen. Die Forderung nach Kennzeichnung bezieht sich auf so genannte geschlossene Einsätze, Demonstrationen und Großeinsätze bei Fußballspielen. Auch geht es nicht um Namensschilder, sondern um rotierende Ziffernfolgen, also eine anonyme und individualisierte Kennzeichnung beim Einsatz.
Schon jetzt sei es selbstverständlich, dass sich jeder Beamte, jede Beamte im Bürgerkontakt namentlich vorstelle, berichtete Polizist Uwe Petermann. Bereits an diesem Punkt trennten sich die Erfahrungswelten, sowohl im Podium als auch im Publikum. Die Anwältin Rita Belter und Abgeordnete der LINKEN Henriette Quade berichteten, wie sie Beamte wiederholt erlebt haben. Schon bei Vorkontrollen bekäme man von den Beamten nur noch zu hören: „Mein Name ist Hase“, „Meine Dienstnummer 08/15“. Dabei, so Belter, ist die Identifizierbarkeit eigentlich gesetzlich vorgeschrieben. Für die Polizei, die das staatliche Gewaltmonopol ausübt, müsse dies laut Henriette Quade auch selbstverständlich sein. Es gehe schlicht und einfach um die Individualisierbarkeit hoheitlicher Verantwortung.
Bereits jetzt gäbe es bei den Einsätzen eine Nummerierung bis zur Gruppenzugehörigkeit. Bender berichte, dass auch diese in Ermittlungsverfahren noch nichts nütze. Hätte man die Einheit im Ermittlungsverfahren identifiziert, würden alle Beamten nach den betreffenden Vorwürfen befragt. Im Ergebnis dieser Einzelbefragungen würden die Ermittlungen eingestellt, weil niemand in der Einheit eine Beteiligung angebe und niemand etwas gesehen habe.
Joachim Rahmann bestätigte diese Erfahrungen. Amnesty International hat sich mit der Kampagne „Täter unbekannt“ mit Polizeigewalt sowohl in Deutschland als auch im internationalen Vergleich auseinandergesetzt. Oft würden sich interne Ermittler und angezeigte Polizisten persönlich kennen. Andere Länder versuchen, den Loyalitätskonflikt der Ermittler mit unabhängigen Untersuchungsbehörden aufzulösen. In Deutschland gäbe es dafür wenig Sensorik. Rahmann stellte damit die Kennzeichnungspflicht in einen erweiterten konzeptionellen Rahmen zur Verhinderung von polizeilicher Gewalt. Die getrennte und unabhängige Ermittlung von polizeilichem Fehlverhalten gehöre ebenso dazu wie die Videoaufzeichnung im Polizeigewahrsam. Gleichzeitig müsse über das Sanktionssystem innerhalb der Polizei nachgedacht werden, so dass interne Ermittlungen nicht automatisch zum Karriereende führten. Nur mit strukturellen Veränderungen ließe sich etwas ändern, was schwer zu ändern ist - eine Polizeikultur, die sich auf Abwehr gegen Vorwürfe von außen konzentriert, statt auf Impulse der Öffnung und der Demokratisierung, die es auch von Polizistinnen und Polizisten selbst gibt.
Das Vertrauen in die Polizei würde weiter steigen, wenn für Fehlverhalten auch individuell die Verantwortung übernommen werden müsste, darüber war sich die Mehrheit des Publikums einig. Im Bericht der Polizeibeschwerdestelle gäbe es keine Auskunft über Disziplinarverfahren gegen Beamte, kritisierte Henriette Quade. 93 Prozent der Ermittlungsverfahren gegen Polizisten würden eingestellt. Uwe Petermann erklärte diese hohe Zahl mit der offensichtlichen Unbegründetheit der Vorwürfe gegen die Polizei und gab im Gegenzug einen äußerst rigiden Kurs des Innenministeriums in Sachsen-Anhalt bei Disziplinarverfahren an.
Joachim Rahmann stellte noch einmal klar, dass es jenseits der Zahlen Einigkeit darüber gibt, dass es zu polizeilichem Fehlverhalten kommt. Übergriffe entstünden aus der Situation heraus, - ist die erste Maßnahme noch verhältnismäßig, kann sich daran ein Übergriff anschließen. Anwältin Belter bekräftigte dies, etwa bei der Räumung der Sitzblockaden. Würde dies zuerst ganz freundlich geschehen, kann es später zu Körperverletzungen kommen, in dem Demonstranten an den Haaren von der Straße gezogen werden. Sie rate verletzten Demonstrantinnen und Demonstranten inzwischen aufgrund der mangelnden Erfolgsaussichten oft von Anzeigen gegen Polizisten ab. Es ist dann nur noch möglich, auf zivilrechtlichem Weg beim jeweiligen Bundesland, also beim Dienstherrn der Polizei, Schadensersatz einzuklagen.
In Sachsen-Anhalt könnte die Kennzeichnungspflicht noch im Februar einführt werden. Theoretisch. In zwei Wochen wird im Landtag über ein neues Polizeigesetz abgestimmt. Im Gesetzentwurf der CDU/SPD-Koalition fehlt diese Regelung ebenso wie die Unabhängigkeit der Beschwerdestelle. LINKE und GRÜNE sind für die Kennzeichnung. 60 Prozent in der SPD waren es beim Mitgliederentscheid im letzten Jahr ebenso. Warum springt Sachsen-Anhalt nicht auf den fahrenden Zug?