Birke Bull-Bischoff

Rede auf der 1. Tagung des 6. Landesparteitags, Lutherstadt Wittenberg

- Es gilt das gesprochene Wort. - 

 

»Gerechtigkeit verbindet.«

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Gäste, 

hinter uns liegt nun fast ein Jahr – wir haben aus Erschütterung und Fassungslosigkeit herausgefunden. Wir kämpfen wieder, liebe Genossinnen und Genossen. Wir kämpfen wieder, mit Zuversicht und Entschlossenheit, zuerst bei uns selbst und dann überall. Wir kämpfen für eine starke LINKE im Bundestag. Wir streiten wieder für politische Konzepte und vernünftige Entscheidungen. 

Unsere Leitidee heißt: »Gerechtigkeit verbindet.« Es ist unsere Kernkompetenz, daran erkennen uns die Leute. Das, was auch uns verbindet. Und es ist genau das, was jetzt gebraucht wird. 

Denn nur Gerechtigkeit schafft Solidarität und Gemeinschaft. Und genau darauf kommt es jetzt an – hier, heute und morgen! 

Liebe Genossinnen und Genossen, 

Gerechtigkeit hat vermeintlich Konkurrenz bekommen, Konkurrenz von ganz rechts außen. Ein guter Zeitpunkt also, Gerechtigkeit unverkennbar von links zu buchstabieren. Was ist für uns gerecht, was ist für uns ungerecht? 

Es ist ungerecht, wenn wir engagierten Pädagoginnen und Pädagogen die Mittel beschneiden, um Kindern aus schwierigen Verhältnissen das zu geben, was sie vielleicht zu Hause nicht bekommen können.

Es ist ungerecht, jungen Leuten den Bildungsweg abzukürzen, bevor sie richtig zeigen  können, was sie drauf haben. 

Gerecht ist dagegen: allen Kinder gleiche Chancen zu ermöglichen, gemeinsam zu lernen, sich zu entwickeln, etwas zu leisten und nicht abgeschoben zu werden. Alle Kinder brauchen Wertschätzung und Zutrauen, unabhängig davon, wie viele Bücher zu Hause im Regal stehen. Unabhängig davon, wie das mit dem Status und dem Einkommen der Eltern ist. Unabhängig davon, ob sie in einer Villa wohnen oder im unsanierten Plattenbau oder in einer kleinen Gemeinde. 

Genau deshalb sind wir der Landesregierung gehörig auf den Zünder gegangen: Für die Zukunft der Sprachförderung an den Schulen. Genau deshalb haben wir politisch Krawall gemacht, gegen die Kürzung der Mittel für Ganztagsschulen. Das betrifft diejenigen, die darauf angewiesen sind, dass wir ihnen bieten, was ihnen vielleicht anderswo vorenthalten wird. 

Unsere Vorstellungen gehen auch über den Tag hinaus:

Gerecht ist, wenn der Zugang zu Bildung für alle kostenfrei ist. In den KITAs wollen wir das ab 2021 schrittweise angehen. Das ist ein großer, aber ein richtiger Schritt. 

Dafür brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung: Bildung muss Gemeinschaftsaufgabe werden! Das heißt: Bund, Länder und Kommunen müssen es gemeinsam stemmen. Eine uralte Forderung der LINKEN ist deshalb: Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Kommunen in diesem Bereich muss fallen! Eine Bildungsoffensive muss eine Gemeinschaftsaufgabe werden. 

Kluge und selbstbestimmte Kinder sind anstrengend. Vor allem aber sind sie ein Gewinn für unser Zusammenleben, für unsere Gesellschaft. Wenn es Kindern möglich ist, die Erfahrung schon in jungen Jahren zu machen,

  • dass jede und jeder seine Stärken und seine Schwächen hat,
  • einander mit Wertschätzung und Solidarität zu begegnen (auch wenn man sich nicht jeden Tag gleich lieb hat),
  • Konflikte mit fairen und gewaltfreien Mitteln auszutragen. 

Das bringt eine Gesellschaft nach vorn! Davon haben alle etwas.

Und bei diesem Thema drängt sich eine Finanzierungsquelle auch gleich auf, die eine sehr aktuelle Debatte aufgreift: Die 3,5 Milliarden Euro jährlich, die die Bundeswehr für Rüstungsaufträge eingeplant hat. Ich unterstelle mal, dass auch bei der Bundeswehr das Papier und die Druckerpatronen teurer werden und bescheiden uns ein wenig: Lediglich 3,2 Milliarden Euro wären ausreichend, um rund 40 000 Erzieherinnen, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter und Integrationsbegleiterinnen einzustellen.

Das ist etwas, das sich lohnt, weil: Nicht die Aufrüstung des Militärs schafft Gemeinschaft, es ist Gerechtigkeit, die verbindet!

Liebe Genossinnen und Genossen, 

2003 wurde die AGENDA 2010 ausgerufen von einem sozialdemokratischen Kanzler. Es war ausdrücklich gewollt, den Druck auf Arbeitslose und Beschäftigte gleichermaßen zu erhöhen, unsichere und schlechter bezahlte Tätigkeit zu schaffen, Sozialleistungen und Rechte abzubauen. 

Mittlerweile, 14 Jahre später ist die gewollte Realität: Deutschland ist das größte Niedriglohnland Europas. Sachsen-Anhalt hat den größten Anteil an Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland.

Mehr als 21 Prozent der Arbeiter und Angestellten arbeiten zum Mindestlohn, deutlich unter der Niedriglohnschwelle von 9,30 Euro, also unter der Grenze, die vor Altersarmut sichert (11,68 Euro). 

Die Leiharbeit hat sich in den vergangenen 18 Jahren verfünffacht. Bundesweit haben wir fast eine Million Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. Was Leiharbeit bedeutet, weiß man, auch wenn man nicht betroffen ist.

Selten hat ein politisches Vorhaben das Land und seine Leute mit einer solchen Wucht verändert, wie die Hartz-IV-Gesetze.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die ist schon problematisch genug: Sie macht Lebensplanungen schwieriger, sie belastet im Alltag und verunsichert beim Blick in Zukunft, junge Menschen scheuen sich, Familien zu gründen, retten sich von einer Befristung in die andere, können nicht sicher Fuß fassen, um anzukommen und sich zu entwickeln. 

Die andere Seite der Medaille ist: Reichtum und Gewinn aus dieser Arbeit sind äußerst ungerecht verteilt. 

Wirtschaftliche Entwicklung seit 1991: plus 20 Prozent. Und wer profitiert davon? 

Die obersten Einkommen seitdem:                                plus 27 Prozent (überdurchschnittlich) 

Der Durchschnitt:                                                        plus 12 Prozent (vom Wirtschaftswachstum nicht mehr ganz so viel abgekriegt) 

Die untersten 10 Prozent:                                             deren Einkommen sind um 8 Prozent geschrumpft 

Und diese andere Seite der Medaille macht daraus eine Frage der Gerechtigkeit. Man muss davon nicht in jedem Fall betroffen sein, um sich zu empören. Aber man muss sich empören, damit sich was ändert! 

Wir, DIE LINKE, sind stattdessen das Alternativprogramm:

Wir wollen, dass es staatliches Geld nur noch für tariflich zahlende Unternehmen gibt, denn schlecht bezahlte Arbeit darf nicht noch staatlich gefördert werden.

Wir brauchen ein Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro, um tatsächlich Altersarmut zu verhindern.

Wir fordern Mindestsicherungen von 1050 Euro (Regelsätze und in der Rente). 

Zu einer Debatte will ich dann auch noch was sagen, es sind immer noch viel zu viele, die lange Jahre arbeitslos sind (z.B. Im Landkreis Mansfeld Südharz: neun Prozent). Diese hören jetzt, Geflüchtete sollen unterhalb des Mindestlohns beschäftigt werden. Damit keine Missverständnisse entstehen, nicht der heimliche Anspruch, »denen soll es schlechter gehen«, findet unsere Akzeptanz Keinesfalls! Aber: deren Empörung, allein wegen finanzieller Anreize zu den Verlierern zu gehören ist nachvollziehbar. Der Vorschlag ist perfide: Hetzt die Schwachen gegen die Schwächsten! Noch dazu aus üppig bezahlter Position. Nein, eine Aufweichung des Gesetzes für geflüchtete Menschen darf es nicht geben! Der Pass darf nicht über den Wert der Arbeitskraft bestimmen. Ebenso wenig wie das Geschlecht oder die finanzielle Not zu Hause. Gerechtigkeit für alle, nur dann gilt: Gerechtigkeit verbindet! 

Liebe Genossinnen und Genossen, 

Unzählige Armutsberichte füllen die Bibliotheken der Parlamente. Unzählige Forschungen über Armut und deren Konsequenzen hat die Wissenschaft vorgelegt und in unzähligen Konferenzen diskutiert.

Und in der Tat, die Betroffenheit von Armut ist auf Rekordniveau, es sind 13 Millionen Menschen, jedes fünfte Kind wird durch zu wenig Geld, schlechtere Lebensbedingungen in seiner Entwicklung behindert. Jede und jeder von uns kennt Menschen, die ganz persönlich betroffen sind, die gedemütigt werden, die benachteiligt werden.

Über die andere Seite dieser Medaille ist viele Jahre geschwiegen worden: 500 der reichsten Deutschen verfügen über 723 Milliarden Euro. Über 200 Milliarden Euro werden jährlich vererbt und nur lächerlich versteuert

Hier liegt das Problem: Diese Seite der Medaille macht Armut zu Ungerechtigkeit:

»Reicher Mann und armer Mann

standen da und sahn sich an.

Und der Arme sagte bleich:

›Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich‹«

 Sie – die unverschämt Reichen – sind die »Gefährder«  sozialer Sicherheit:

Soziale Ungleichheit zerfrisst den Zusammenhalt, ruiniert Lebensplanungen, untergräbt Verständnis der Menschen füreinander, bringt sie gegeneinander auf.

Sie sind es, die sich gewissermaßen Minderheitenrechte in Parallelwelten gesichert haben und es immer noch tun: Zusatzzahlungen für Aufsichtsräte, Prämien für Börsenmakler, Steuergeschenke für reiche Erben, für Immobilienbesitzer, für Vermögende. 

Und auch hier sind wir die Guten: Die Vermögensteuer muss wieder eingeführt, der Einkommens-Spitzensteuersatz muss angehoben werden. Bei der Erbschaftsteuer müssen große Betriebsvermögen stärker herangezogen werden. Die Mehrwertsteuer, die Geringverdiener viel härter trifft als Gutverdienende, muss dagegen gesenkt werden. 

Soziale Ungleichheit heißt das Problem. Und das muss ein Ende haben. 

Liebe Genossinnen und Genossen,

vor uns steht eine besondere und harte Wahlkampfauseinandersetzung. Die Debatten um unsere Zukunft werden grundsätzlich und schärfer ausgetragen. Es ist wieder sagbar geworden, was wir uns noch vor Monaten nicht hätten vorstellen können 

Wir müssen nicht nur dafür streiten:

  • endlich mehr Lehrerinnen und Lehrer in die Klassenzimmer zu bekommen
  • wie wir Wirtschaftslobbyismus in die Schranken weisen,
  • wie wir stattdessen die Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Gewerkschaften stärken können
  • dass Arbeit erst dann gute Arbeit ist, wenn sie für das Leben und Altern in Würde und in Sicherheit sorgen kann.

Wir müssen all dies tun, aber gleichzeitig auch dafür kämpfen, dass Gerechtigkeit nur dann ihren Namen verdient, wenn sie für alle gilt. 

Die politische Rechte erzählt heute eine Sozialpolitik:

  • im rassistischen Modus, (erst die deutschen, dann andere)
  • im sexistischen Modus (die deutsche Frau als Mutter und Hausfrau)
  • oder im herablassenden Modus »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.«

Aber – und das ist die gute Nachricht: Viele gewinnen Klarheit darüber, es formiert sich Anstand und Protest. Aus dem Schock wird eine Gegen-Bewegung. Denn es geht um sehr viel: Zeigen wir uns als solidarische und weltoffene Gemeinschaft oder schotten wir uns ab und gehen auf Minderheiten los, anstatt gerechte Verhältnisse dort einzufordern, wo sie ruiniert worden sind?

Und es gibt noch mehr gute Nachrichten: Im letzten Jahr sind zum ersten Mal seit vielen Jahren die Eintritte in DIE LINKE insgesamt höher als die Verluste an Mitgliedern. Sie sind gekommen, um zu bleiben, und um Gesicht zu zeigen. Und deshalb ist das genau der richtige Moment, meinen Kollegen und nunmehr Genossen Thomas Lippmann als Mitglied unserer Partei begrüßen: Herzlich willkommen, hier bei uns und mit uns. Wir können solche wie dich, mit Biss und Leidenschaft gut brauchen! Davon gibt es noch mehr. Seid uns alle herzlich willkommen.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Situation ist nicht leicht: Aber wir haben gute Karten! Die soziale Frage wird zum zentralen Thema. Gerechtigkeit wird nicht mehr nur in Splittergruppen diskutiert, sondern in großen Zeitungen und Medien. Wir haben starke Verbündete.

Der Noch-Parteichef der SPD Sigmar Gabriel hat fertig. Die Erleichterung darüber ist den Umfragen anzusehen. Ja. Wofür Martin Schulz steht, das ist offen.

Nehmen wir die Bewegungen im Lager jenseits der CDU doch auch als Signal, dass es Bewegung für eine neues Mitte-Links-Bündnis gibt. Wenn wir alles für möglich halten, warum nicht auch das Gute. Und zwar wirklich geradewegs und verlässlich dem Morgenrot entgegen. 

Mit Nationalismus und Egoismus und Abschottung werden die Kriege um Ressourcen, Bodenschätze und Einfluss nicht enden, so ist keine gerechte Gesellschaft im Angebot.

Und wenn wir das Karo kleiner ziehen: dass Leute in der Großbäckerei Lieken entlassen werden, um sie zu einem Viertel weniger Geld wieder einzustellen, daran soll nationale Abschottung etwas ändern können? Dass junge Menschen um ihre Rente fürchten, daran sollen geflüchtete Syrer die Schuld tragen? Dass die Steuern der Familien Klatten und Quandt auf ihre jährlich 994 Millionen Euro aus den BMW-Aktion im Verhältnis zu den Steuern ihrer Arbeiter kläglich sind, das soll das Resultat von Zuwanderung sein?

Ich bitte euch! Auch im so genannten postfaktischen Zeitalter haben doch nicht alle Leute ihren Verstand an der Garderobe abgegeben.

Wir werden klaren Kopf behalten und klare Kante zeigen.

Wir werden zuhören und kämpfen, nachdenklich und angriffslustig zugleich sein. Wir werden um Mehrheiten kämpfen. Wir werden uns mit den Mächtigen anlegen (und das werden wir im Übrigen nicht nur einer Bundestagsfraktion überlassen). 

Und auch hier gilt: Gerechtigkeit verbindet! Sie verbindet uns. Sie verbindet unser politisches Konzept und sie verbindet diese Gesellschaft.

Und deshalb, liebe Genossinnen und Genossen:

Wir kämpfen wieder!